Ein Cottage zum Verlieben: Roman (German Edition)
er mir dann erklärt, dass man ihn bei der Arbeit freigestellt habe, weil seine Hilfe nicht mehr gebraucht wird.«
»Was Sie jetzt brauchen, ist ein Plan«, erklärt Hannelore. »Wissen Sie, als ich beschlossen hatte, aus Ostdeutschland zu fliehen, habe ich meine Flucht über Jahre hinweg geplant. Denn von offizieller Seite her hatte man keine Ahnung, was man mit Künstlern anstellen sollte, und hat darum alles Mögliche ausprobiert. Manchmal wurden Künstler für fünf Jahre in den Westen geschickt, in der Hoffnung, dass sie nicht wiederkehren würden. Manchmal wurden aber auch Dissidenten an der Humboldt-Universität, das war meine Uni, einfach abgeschoben. Dadurch wurden die Mächte unterdrückt, die Ostdeutschland hätten verändern können.«
Ich mustere Hannelore und muss an das behütete und beschützte Leben denken, das ich führe.
»Ich versuche jedoch, nicht allzu sehr an jene düsteren Zeiten zurückzudenken. Damals war alles grau oder braun. Sie hätten es gehasst! Aber wissen Sie, die Vergangenheit … wie sagt man?«
»Verfolgt einen?«, werfe ich ein.
»Ja, sie verfolgt einen. René und die anderen haben mich bei einem Weihnachtsausflug einmal in ein indisches Restaurant eingeladen. Dort hingen schreckliche Tapeten, und der Linoleumfußboden war der gleiche wie damals in meinem alten Schlafzimmer. Ich wäre am liebsten sofort wieder gegangen. Weggelaufen. Manchmal sind Erinnerungen sehr schwierig.«
Eigentlich sollte ich jetzt etwas sagen. Aber was? Stattdessen gehe ich zu den gerahmten Werken hinüber, die an der Wand hängen.
»Haben Sie die Stoffe alle selbst gefärbt?«
»Natürlich. Raten Sie mal, womit ich diesen hier gefärbt habe?«, fragt sie und deutet auf einen wunderschönen türkisfarbenen Stoff, der mit einfachen kleinen Stichen eingefasst ist.
»Ähm … Keine Ahnung.«
»Rotkohl. Hey, wir Deutsche machen nicht nur Rotkohl in Gläser ein, wir färben damit auch Stoffe«, erklärt Hannelore und lächelt breit.
Ich muss lachen und stelle fest, dass dies das erste Mal ist, dass Hannelore einen Witz gemacht hat. »Aber Sie selbst benutzen diese komplizierten Stiche gar nicht, die Sie mir immer beibringen wollen!«
»Nein. Meine Stiche hier dienen nur als eine Art Konturmittel. Alles, was zu verziert ist, würde nur vom Eigentlichen ablenken.«
»Adi würde es gefallen«, stelle ich fest.
»Aber jetzt genug von mir. Aus der Sicht einer Stoffarchivarin ist es durchaus sehr interessant, was Sie machen«, erklärt Hannelore gedankenversunken. »Sie erschaffen etwas Handfestes, ganz anders als all diese sogenannte Konzeptkunst – die wird nämlich bald schon wieder vergessen sein, so, als hätte es sie nie gegeben. Denn von diesen Arbeiten und Werken wird nur noch eine DVD übrig bleiben, die sich hinterher niemand mehr anschauen wird. Ihre Arbeiten dagegen hinterlassen echte Spuren.« Überbleibsel , denke ich.
»Wie das? Etwa, wenn ich in Secondhandläden und zu Flohmärkten gehe, um dort meine Materialien zu kaufen?«
»Natürlich! All diese Textilien wurden hergegeben, um sie einem neuen Sinn zuzuführen, einer neuen Verwendung. Die originalen Markenetiketten, die kaum abgenutzten Kleidungsstücke – all dies ist doch ein Zeichen für unsere Wegwerfgesellschaft! Als ich zum ersten Mal im Westen war, konnte ich es kaum fassen. Dort verkaufte man Kleidung zum Wegwerfen, und zwar nicht nur Kleider, sondern auch Unterwäsche!«
Ich breche in wildes Gekicher aus. Hauptsächlich, weil Hannelore so ziemlich der letzte Mensch ist, den ich mir in Einmal-Unterwäsche vorstellen kann.
»Noch einen Kaffee?«
»Nein, danke.« In meinem Kopf dreht sich ohnehin schon alles, und meine Wangen glühen geradezu.
»Was ich damit sagen will, Laura«, fährt Hannelore fort und schenkt mir noch eine weitere Tasse ihres starken Kaffees ein. »Wenn Sie etwas wirklich wollen, wenn Sie alles daransetzen und mit ganzer Kraft dieses Ziel verfolgen, dann können Sie damit Ihr Leben verändern. Kümmern Sie sich nicht darum, was andere Leute dazu sagen. Sie werden es nie schaffen, es allen recht zu machen. Stattdessen sollten Sie versuchen, es sich selbst recht zu machen.«
»Das war wirklich nett von Ihnen«, erkläre ich und stehe auf. »Aber ich will Sie jetzt nicht weiter stören.«
»Nur eines noch«, hält mich Hannelore zurück. »Vielleicht hat auch Adi Träume. Eigene Ideen.«
Überrascht bleibe ich stehen.
Als ich schließlich nach Marsh Cottage zurückkehre, habe ich eine To-do-Liste
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