Ein Cottage zum Verlieben: Roman (German Edition)
mich zu sehen, oder auch nicht. Aber nach dieser schlaflosen Nacht habe ich sonst niemanden, mit dem ich mich unterhalten könnte, der nicht gleich dem ganzen Dorf meine Angelegenheit auf die Nase bindet. Einen kurzen Moment lang hatte ich tatsächlich in Betracht gezogen, mit Chris zu sprechen, doch das hätte alles nur noch verschlimmert.
»Sie kommen gerade rechtzeitig für Kaffee und Kuchen. Ich stelle nur noch eben die Kaffeemaschine an. Gehen Sie ruhig schon in den Wintergarten durch – oder sollte ich sagen, in mein Atelier?«, fordert sie mich auf.
Als ich das Wohnzimmer durchquere, bewundere ich die vielen orientalischen Teppiche, deren geometrische Formen in Rot, Weiß und Schwarz den Boden und die Wände schmücken. Von dort aus betritt man den Wintergarten, der sich deutlich von meinem 1970er-Modell mit seinen Plexiglasscheiben und dem Flachdach unterscheidet. Am liebsten würde ich mit der Hand über die hübsch verzierten Fensterrahmen aus Holz und den original viktorianischen Terrakottafußboden streichen. Adi wäre hellauf begeistert von den alten, massiven Materialien. Der einzige gemeinsame Nenner, auf den unsere Wintergärten kommen, ist die Tatsache, dass sie gleichermaßen als Ateliers und Gewächshäuser dienen. Denn die Jurte ist mittlerweile eher zu einer Art Lager für meine Materialien geworden.
Hannelore besitzt das hübscheste und akkurateste Atelier, das ich je gesehen habe. Es sieht fast so aus, wie ich mir Adis Studio vorstellen würde – das heißt, wenn er ein Künstler wäre und ein eigenes Atelier besäße. Auf einem Tisch sind die Stoffbücher und Zeitschriften aufgereiht. Verstohlen blättere ich durch einen der Kataloge. Sogleich stoße ich auf einen doppelseitigen Artikel über Hannelores Werk, in dem sie nicht nur als Stoffkünstlerin beschrieben wird. In dem Bericht wird hervorgehoben, dass sie auf ihrem Gebiet sogar zu besonderen Ehren gekommen ist. Im ersten Augenblick werde ich fast grün vor Neid. Wie hat sie es nur geschafft, als wichtige Künstlerin anerkannt zu werden, während ich mich damit abmühe, irgendwelchen Schnickschnack aus geretteten Vintagekleidern herzustellen? Nach allem, was Chris gesagt hat, fällt es mir schwer zu glauben, dass man auch nur eine von meinen Arbeiten im Entferntesten als wichtig erachten könnte.
Hannelore reicht mir eine Tasse Kaffee und einen weißen Porzellanteller mit geriffeltem Rand, auf dem sich ein Stück Pflaumentorte mit einer dünnen Zuckerschicht befindet. Jedes Mal staune ich wieder, wie hübsch und korrekt alles bei ihr ist. Ich kann mir bildlich vorstellen, wie sie mit ihrem feinen Porzellan selbst in einer Jurte in der tiefsten Wüste noch ein erstklassiges Abendessen auftischt. Ich traue mich nicht, meinen Kaffee und Kuchen auf dem Arbeitstisch abzusetzen, da dieser mit ganzen Stapeln von kostbaren kleinen Stoffstücken bedeckt ist, die aussehen, als wolle Hannelore eine Collage machen.
»Was haben Sie damit vor?«, frage ich sie und deute auf die vielen Stoffschnipsel.
»Das ist meine Stoffarchivierung«, grinst sie. »Finden Sie nicht, dass es durchaus interessant ist, was wir sammeln und behalten? Wie wir uns entscheiden, etwas anzuordnen und auszustellen? Und das gilt eben nicht nur für Museen, sondern auch für das eigene Zuhause.«
»Adi bezeichnet so etwas als ›Zumüllen‹«, lache ich.
»Aber schauen Sie sich dies hier doch einmal an«, erwidert Hannelore und reicht mir ein Stück Leinenstoff. Ich bin unsicher, wonach genau ich schauen soll.
»Sehen Sie sich die Stopfarbeit an, mit der der Stoff ausgebessert wurde. Achten Sie auf die ausgefransten Ecken und den Flicken dort. Das alles erzählt uns nicht nur die Geschichte des Stoffes, sondern auch unsere eigene Geschichte. Denn wir haben nicht immer in einer Wegwerfgesellschaft gelebt. Aber Sie sind doch nicht hergekommen, um sich mein Atelier anzuschauen, oder?«
Ein Teil von mir würde am liebsten mit »doch, natürlich!« antworten und sich in ihren Stoffen vergraben.
»Was kann ich also für Sie tun?«, fährt Hannelore fort.
»Alles ist schiefgegangen«, erwidere ich. »Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Gestern Abend noch schien mir alles so aufregend zu sein. Ich habe nämlich beim Town and Country College gekündigt, weil ich ein eigenes kleines Unternehmen gründen möchte. Dann kam ich nachhause und hatte sogar eine Flasche Schampus dabei, um die gute Nachricht gebührend zu feiern. Adi war da schon zuhause. Später am Abend hat
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