Ein Cottage zum Verlieben: Roman (German Edition)
ist mein langer Arbeitstag. Abends habe ich dann immer das Gefühl, bereits eine komplette Arbeitswoche hinter mir zu haben, und sehne mich nach dem Dienstag – dem Tag, an dem ich zuhause bin. Ich bin gespannt, ob sich die Schüler immer noch von ihren Katern erholen müssen. Apropos Kater: Ganz normal fühle ich mich immer noch nicht. Neuerdings brauche ich recht lange, bis ich mich von einer Party oder Ähnlichem erholt habe. Könnte das am Alter liegen? Als ich mich an meinem besten Brokatkorsett aus echten Walknochen am Finger geschnitten habe, hat es geschlagene zwei Wochen gedauert, bis der Heilungsprozess überhaupt erst begonnen hat. Wenn Daisy sich dagegen schneidet oder sich die Haut aufschürft, scheint die Wunde über Nacht zu verheilen.
»Miss, was haben Sie mit Ihrem Kopf angestellt?«, fragt mich einer der Jungs, als ich meine Taschen unter dem Lehrerpult abstelle.
»Guten Morgen, Leon. Ich heiße Laura«, korrigiere ich ihn.
»Wow, Sie sind schnell! Unsere letzte Lehrerin hatte nicht mal bis Weihnachten unsere Namen drauf.«
Mir fällt auf, dass Leon (wie ich …) keinen Mantel trägt und trotz des Schnees draußen im T-Shirt zum Unterricht gekommen ist. Wie immer wackelt und rutscht er auf seinem Stuhl hin und her.
Vielleicht sollten wir alle ständig in Bewegung sein?, denke ich, als ich den einzigen Heizlüfter im Raum anschalte und mich nach Markern für das Whiteboard umsehe. Meine Finger sind so kalt, dass ich kaum die Worte Muster und Verzierung an die Tafel schreiben kann.
Alle anderen lassen sich lärmend auf ihren Plätzen nieder. Eigentlich soll ich ihnen nun befehlen, die Mäntel auszuziehen, was ich aber nicht übers Herz bringe. Was soll’s, wenn ihre Kapuzen und Mützen ein Gesundheits- und Sicherheitsrisiko darstellen? Die Gefahr, sich heute zu unterkühlen, ist eindeutig größer.
»Was haben Sie denn da in den Taschen, Miss?«, fragt ein anderer Schüler.
Ich beantworte die Frage ausweichend. »Ihr seid alle aufstrebende Designer«, erkläre ich und beginne mit meinem Unterrichtsskript. »Jedes Objekt verrät uns etwas über seinen Besitzer und seinen Platz in der Welt. Designer beziehen zudem viel Inspiration aus Alltagsgegenständen.« Schnell merke ich an ihren Gesichtern, wie sie das Interesse verlieren. Kein guter Anfang. Ich muss dringend dafür sorgen, dass sie selbst aktiv werden.
Ich hebe die Taschen vom Boden auf und setze sie auf dem Pult ab. Als sei ich eine Kreuzung aus einem Zauberer und einem Klinkenputzer, zaubere ich erst ein gestreiftes Stoffstück hervor, dann eine Teekanne mit einem blau-grünen wiederkehrenden Muster, das an eine Spirographenzeichnung erinnert, und zum Schluss die Kuchenetagère mit dem Rosenmuster. Schon bilden die Dinge in ihrer Gesamtheit ein sehr buntgemustertes Stillleben.
»Das College hat auch sowas in den Requisitenschränken stehen«, erklärt Leon. »Soll ich schnell gehen und noch mehr Sachen holen?«, fragt er und ist schon an der Tür angelangt.
»Die sind aber nicht so schön wie diese Gegenstände hier«, entgegnet Amy, die ihre Arme vor der Brust verschränkt hat und Leon mit funkelnden Augen anstarrt. In ihrem fast schon schamlos kurzen Schottenröckchen und den klobigen hohen Stiefeln wirkt sie ziemlich furchterregend. Leon kehrt zu seinem Platz zurück und schaukelt mit dem Stuhl von links nach rechts.
»Vielleicht sollten wir die Dinge erst einmal beschreiben«, schlage ich vor und deute auf meine Teekanne.
»Müssen wir das wirklich machen?«, beschwert sich Lizzy und zwirbelt an ihren blonden Dreadlocks herum. »Ich denke, das soll Kunstunterricht sein?«
Mach einfach weiter, Laura, ermahne ich mich. Lass dich nicht auf eine Debatte ein, warum die meisten deiner Schüler nur unzureichend lesen und schreiben können. Du bist hier die Erwachsene, du bist die Lehrerin – du weißt es am besten.
»Halt die Klappe, Lizzy«, befiehlt Amy an meiner Stelle. Lizzy schiebt in einer dramatischen Geste wie ein Kleinkind die Unterlippe vor; dann nestelt sie an ihren zahlreichen indianischen Armreifen herum. Amy, ein Mädchen mit mehr Piercings, als ich je für möglich gehalten hätte, will etwas lernen, und die anderen haben Angst vor ihr. Ein Hoch auf Amy, meine Klassenpolizistin.
Ich beschließe, mein Skript beiseitezulegen, da ich es wegen Daisys Kritzeleien mit dem roten Kugelschreiber ohnehin kaum lesen kann. »Zuerst möchte ich, dass ihr mir das hier kurz beschreibt.« Ich hebe meine Teekanne aus den
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