Ein Cottage zum Verlieben: Roman (German Edition)
Stundenplan inzwischen mit roten Kugelschreiber-Kritzeleien übersät ist, meine blaue, rechteckige Tischdecke quer über der Sitzbank liegt und Daisy meine Milchkanne mit einem Fuchs und einer Henne darauf fest umschlungen hält. Wenigstens ist meine Arbeitstasche interessant für sie.
Während ich einen Parkplatz suche, trauere ich einen Augenblick lang meiner kinderlosen Zeit hinterher, als ich noch zur Old Street gependelt bin. Ich wünschte, ich könnte noch einmal so sorgenfrei sein und mit der Londoner U-Bahn fahren. Es kommt mir wie der reinste Luxus vor, wie ich damals währenddessen einen Coffee-to-go getrunken, durch eine Zeitschrift geblättert und beobachtet habe, welche Kleidung die anderen Fahrgäste trugen, die sich auf dem Weg zur Arbeit befanden. Was machte es da schon aus, dass ich »nur« bei einem Hinterhof-Textilunternehmen gearbeitet habe anstatt bei einem Designerlabel. Immerhin wurde ich dafür bezahlt, mich hinzusetzen und Ideen für die angesagten Trends zu malen und kolorieren.
Damals hat Mum noch gelebt. An den Wochenenden bin ich immer zu unserem kalten Bungalow im Fenlanddistrikt gefahren, dessen eisige Alu-Fensterrahmen im Winter nie abtauten. Bald schon haben wir uns dann mit einem leckeren vegetarischen Nussbraten mit sämtlichen Beilagen aufgewärmt. Nur wir zwei allein. Wir beide sind nach Dads Tod Vegetarier geworden. Es ging alles ganz schnell. Er hat bei der Arbeit einen Herzinfarkt gehabt und wurde ins Krankenhaus gebracht – aber da war alles schon zu spät. Damals war ich gerade fünfzehn, und es kam mir vor, als hätte ich eine neue Religion angenommen, als ich Vegetarier geworden bin.
Die Unterhaltungen mit Mum endeten alle damit, dass Mum mich fragte, »Laura, wenn du den ganzen Tag nur herumsitzt und Bilder ausmalst, wann willst du dann arbeiten gehen und Geld verdienen?« Sie lebte in einer völlig anderen Welt. Vielleicht bin aber auch ich diejenige, die in einer anderen Welt lebt, weil ich mir wünsche, den ganzen Tag damit zubringen zu können, Entwürfe zu malen – und dafür bezahlt zu werden. Manchmal wird der Wunsch übergroß, meine Kinder zu packen und mit ihnen ins Fenland zu fahren. Aber – wie Mum – gibt es auch den Bungalow nicht mehr. Bauunternehmer haben ihn sich unter den Nagel gerissen und drei moderne Multi-Komfort-Häuser daraus gemacht.
Ich steige aus dem überhitzten Auto aus und merke, dass ich keinen Mantel anhabe. Heute habe ich das Gefühl, dass ich bereits einen vollen Arbeitstag hinter mir habe. Ich hätte mich krankmelden können; dann wäre ich von einer der Krankenschwestern im Callcenter, bei dem wir anrufen müssen, in die Mangel genommen worden. Diese beschließen dann letztendlich, ob wir tatsächlich krank genug sind, um einen bezahlten Arbeitstag lang krankzufeiern. Aber angesichts der Drohung von Adis Unternehmen, eine weitere Kündigungsrunde einzuleiten, kann ich es mir nicht leisten, krank zu sein. Selbst dann nicht, wenn ich aussehe, als wäre ich nach einem Autounfall gerade noch einmal mit dem Leben davongekommen. Zu allem Überfluss bin ich auch noch zu spät.
Alles ist in Eile geschehen: Gehetzt bin ich ins Auto gestiegen, dann musste ich den Motor zum Laufen bekommen, zusehen, dass alle ihre Wintermäntel anhaben, die Scheiben enteisen, Daisys Tasche packen, meine Tasche packen … Da ist einfach keine Zeit geblieben, mich um mich selbst zu kümmern.
Ich flehe die Kindergärtnerinnen an, Daisy ein paar Rice Krispies zu geben. Vorwurfsvoll werfen sie einen Blick auf die Uhr. Ich komme mir vor, als sei nicht Daisy, sondern ich das Kind, das unfähig ist, eine Entscheidung für sich selbst zu treffen. Bilde ich mir das etwa alles nur ein? Oder schauen mich diese jungen, selbst kinderlosen Mädchen tatsächlich missbilligend an? Liegt es daran, dass ich keinen Mantel anhabe, oder denken sie gerade, Warum kann sie ihrem Kind kein Frühstück zubereiten, bevor sie mit ihm durch die Kälte fährt? Sie ist keine gute Mutter. Warum schere ich mich eigentlich darum, was sie von mir halten? Denn ganz gleich, wie weit ich es von mir weise: Ihre Meinung zählt. Ich muss einfach härter im Nehmen werden. Immerhin bezahle ich ein Vermögen für die Kinderbetreuung.
Ich laufe zu meinem Micra zurück und entdecke zu meinem großen Entsetzen, dass der Wagen nicht mehr lilafarben ist, sondern mit einem weißen Pelz überzogen zu sein scheint . Warum kann es nicht einfach aufhören zu schneien? Ich komme doch ohnehin schon zu spät!
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