Ein Cottage zum Verlieben: Roman (German Edition)
Ich überlege, den Wagen einfach hier vor dem Kindergarten im Parkverbot stehen zu lassen oder mich auf einen Behindertenparkplatz zu stellen. Denn bis ich den Micra vom Schnee befreit habe und zum Angestelltenparkplatz gefahren bin, wäre ich deutlich zu spät. Und der Eingang zum Kunsttrakt des Colleges liegt gerade einmal einen halbminütigen Sprint vom Kindergarten entfernt. Vorsichtig sehe ich mich um, als sei ich gerade dabei, ein schreckliches Verbrechen zu begehen, und öffne den Kofferraum. Ich nehme meinen Weidenkorb, packe alle Sachen wieder in meine kleine Reisetasche, hebe die Einkaufstüten auf (ich habe nie genügend schicke Taschen) und schleppe all das über die eisige Straße und durch die Doppeltür.
Ich komme mir wie ein echter Lehrer vor, als ich mir mit meinem Taschenhaufen einen Weg durch die überfüllten Schulkorridore ins Lehrerzimmer bahne. Lehrer, ganz gleich ob männlich oder weiblich, sind die Taschenträger schlechthin. Korrigierte Hefte, Schulbücher, zusätzliche Quellen und Hilfsmittel; und als Kunstlehrer kommt noch einmal der ganze Schnickschnack für Stillleben hinzu. Falls ich jemals überfahren werden sollte, werde ich wohl nicht als Erstes an die Warnung meiner Mutter denken (»Mädchen, trag immer saubere Unterhosen, nur für den Fall!«). Stattdessen würde ich mir wohl eher Gedanken darüber machen, was man wohl zu dem Inhalt meiner Tasche sagen wird – getrocknete Blüten, verschiedene Milchkännchen, Stoffreste, eine Schale mit orangefarbenem und schokoladenbraunem Muster, das sich immer wiederholt (das gute Stück stammt aus der gleichen Ära wie meine Küche) und eine Kuchenetagère mit Rosenmuster, um nur ein paar Dinge zu nennen.
Ich gehe nach draußen und werfe im Vorbeigehen einen Blick durch die Fenster meines Containers, oder, wie es offiziell genannt wird, meines »mobilen Studios«. Die Schüler, meine Zuhörer, sind bereits anwesend. Alle warten auf mich. Wer hat sie eigentlich reingelassen? Ich habe keine Lust. Genauso, wie die Lehrer Taschenträger sind, liegt es in ihrer Natur, großartige Schauspieler zu sein. Meine Lehrer früher waren es jedenfalls, daran kann ich mich noch gut erinnern. Allerdings habe ich heute überhaupt keine Lust, auf die Bühne zu gehen. Lieber würde ich mich unter meiner Bettdecke verkriechen!
Einen Augenblick lang kommt mir die Frage in den Sinn, wie ich hergekommen bin und warum ich diesen Job bloß angenommen habe. Schuld war dieser schicksalhafte Anruf. »Können Sie Textilunterricht geben? Sind Sie in der Textilindustrie beschäftigt gewesen?«, hatte Curtis Lampard im November ins Telefon gesabbert, als ich noch gemütlich in Ealing in unserer Doppelhaushälfte saß.
»Sicher. Natürlich kann ich das«, hatte ich erwidert und mich an Regel Nummer eins erinnert, wenn man in Teilzeit arbeitet und sich in Zeiten einer Konjunkturschwäche befindet: Niemals einen zusätzlichen Job ablehnen! Denn ein zweites Mal wird man höchstwahrscheinlich nicht gefragt. Doch obwohl ich diese Kids hier schon beinahe seit einem halben Schulsemester kenne, kommt es mir heute wie mein erster Arbeitstag im Januar vor.
Heute habe ich absolut keine Lust zu unterrichten. Natürlich gefällt es mir, mich als Lehrer zu verkleiden. Bei welchem anderen Job könnte ich sonst schon meine ganzen Vintagekleider anziehen? Außerdem gefällt es mir, dabei zuzusehen, wie die Schüler kreativ werden. Leider ist es aber nun mal so, dass der Tag von vielen anderen Kleinigkeiten dominiert wird.
Armer Adi. Seit unserem Umzug nach Norfolk unterliegt er einem strengen Dresscode. In London hätten sie so etwas nicht zu tun gewagt. Jetzt muss er (gebügelte!) Hemden und Anzüge tragen, obwohl auch Sakkos akzeptiert werden. Die Tage in London, an denen er mit Jeans und T-Shirt zur Arbeit gehen durfte, sind somit vorbei. Adi hat einen Schritt in die Vergangenheit machen müssen und ist seitdem gezwungen, sich wie mein Vater für die Arbeit schick anzuziehen. Es gibt kaum etwas, was er mehr hasst.
Hier in der Abteilung für kreative und darstellende Künste kann ich tragen, was ich will. Niemand wird missbilligend eine Augenbraue hochziehen, wenn ich hier mit meinem Rock aus den Fünfzigern (mit einem wiederholten Teekannenmotiv) und Wollstrumpfhosen auftauche.
Ich hole tief Luft und schalte auf Lehrermodus um. Wie werden die Schüler wohl drauf sein? Montags und freitags ist es am schwersten und anstrengendsten zu unterrichten. Leider arbeite ich montags. Montags
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