Ein Dämon auf Achse
Besitzer uns an einen Fenstertisch führt und die Speisekarten verteilt. Alle bestellen schon ihre Getränke, dann vertiefen sie sich in die Karten, wobei Spynne und Junikäfer als Dolmetscher dienen, das heißt, alle außer Nunzio.
Er ignoriert seine Speisekarte völlig und fischt dafür in seiner Gürteltasche herum.
»Da wir schon hier sind, hat jemand Lust auf ein paar schnelle Runden Drachenpoker?« sagt er wie unschuldig und holt ein Kartenspiel sowie ein ziemlich mitgenommenes Buch voller Eselsohren hervor ...
Die ganze Mannschaft stöhnt auf, ein sicheres Anzeichen für ihre Vertrautheit mit dem Spiel, was nicht weiter überraschen kann, da Nunzio und ich uns große Mühe gegeben haben, es allen beizubringen. Doch trotz ihres scheinbaren Zögerns sehe ich, wie mit schneller Wogenbewegung ein Spieleinsatz nach dem anderen auf dem Tisch erscheint, was wiederum ein Beweis dafür ist, wie süchtig dieser Zeitvertreib machen kann. Ich spreche aus eigener Erfahrung, wenn ich sage, dass nichts darüber geht, mit anzusehen, wie ein Topf, den man auf einem guten Blatt aufgebaut hat, plötzlich im Geldstapel eines anderen verschwindet, weil irgendein obskurer Regelmodifikator greift und den neuen Spieler davon überzeugt, dass es tatsächlich nur in seinem Interesse liegen kann, mehr über das Spiel zu erfahren, weil es seine einzige Chance ist, etwas von seinem Geld zurückzugewinnen, wenn man schon nicht von einem Profit reden mag. Das bedeutet, dass man seine erste Partie Drachenpoker zum Spaß spielt und danach nur noch um der Rache willen dabeibleibt.
»Also ... Einsätze tätigen!« sagt Nunzio, mischt die Karten schnell durch und hält das Blatt zum Abheben hin.
»Nicht so schnell, Vetter«, unterbreche ich und fische mein eigenes Regelbuch hervor. »Wir sollten uns erst einmal festlegen, welche Regelmodifikatoren gelten.«
»Wozu die Mühe?« Shu Fliege zieht eine Grimasse. »Die ändern sich doch sowieso jeden Tag.«
»Jeden Tag? Du meinst wohl, jede Stunde!« wirft sein Bruder ein.
»Wie auch immer«, meint Spynne achselzuckend.
»Gib aus, Nunzio. Klatsche kann uns ja die wesentlichen Punkte erklären.«
Zur Erklärung für jene unter Euch, die mit Drachenpoker nicht vertraut sind: Es ist in allen Dimensionen eine sehr populäre Methode der Vermögensumverteilung. Ihr könnt es Euch wie Neun-Karten-Studpoker mit Sechs-Karten-Hand vorstellen, das heißt, wenn Ihr nichts dagegen habt, dass man Euch finanziell das Gehirn aus den Ohren treibt. Ihr müsst nämlich wissen, dass es außer den normalen Regeln des Kartenspiels auch sogenannte Regelmodifikatoren gibt, die den Wert einer Karte oder eines Blatts verändern können, abhängig von der Dimension, der Tagesstunde, der Anzahl der Spieler, der Position am Spieltisch oder einer Vielzahl weiterer Faktoren, was Drachenpoker zum schwierigsten und verwirrendsten Kartenspiel sämtlicher Dimensionen macht.
Nunzio und ich haben unsere Faszination für dieses Spiel entdeckt, als alle versucht haben, es dem Boss beizubringen, als er vor seinem großen Spiel gegen das Pfefferminz-Kind stand, und so schwer ist es eigentlich gar nicht, vorausgesetzt, man hat ein Exemplar der Regeln dabei, die für die jeweilige Dimension gültig sind, in der man sich gerade befindet. (Natürlich konnte der Boss das Buch während des großen Spiels nicht verwenden, weil er ja schon als Experte galt.)
Bevor wir den Bazar für diese Kaperfahrt verließen, haben Nunzio und ich uns Exemplare des Regelwerks für Klah (unserer Heimatdimension, von der der vorliegende Bericht handelt) besorgt. Wenn Ihr meinen solltet, dass es doch eine überflüssige Ausgabe ist, gleich zwei Exemplare des Regelbuchs zu kaufen, dann möchte ich Euch einen kostenlosen Tipp zum Drachenpokerspiel geben: Die beste Verteidigung am Spieltisch ist es, eine eigene Kopie der Regeln zur Verfügung zu haben. Ihr müsst nämlich wissen, dass es zu den stehenden Regeln bei jeder Partie Drachenpoker gehört, dass jeder Spieler individuell dafür verantwortlich ist, die Regelmodifikatoren zu kennen. Einfach ausgedrückt, bedeutet das, dass wenn ihr einen bestimmten Regelmodifikator nicht kennt, der Eure Nullhand in ein Siegesblatt verwandelt, niemand dazu verpflichtet ist, ihn Euch anzusagen. Das ist eine Tradition des Spiels und hat nichts mit der Ehrlichkeit der Spieler zu tun. Tatsächlich werden dadurch Vorwürfe vermieden, dass irgendein Spieler absichtlich Informationen zurückbehalten hätte, um zu gewinnen,
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