Ein delikater Liebesbrief
wird zweifellos einen Skandal verursachen. Und vielleicht wirst Du mir danach erlauben, Dich und Dein Kind wegzubringen. Wir werden Circes Insel finden und von Granatäpfeln und Bananen leben .
Dein Sebastian
Esme atmete tief durch. Wenn man in seinem ganzen Leben nur einen Liebesbrief erhalten würde, dann sollte er so geschrieben sein wie dieser. Ein zartes Lächeln erblühte in ihrem Herzen. Er lehnte es ab, sie zu verlassen.
Sebastian wollte sie nicht verlassen.
Sie konnte ihn schwerlich zwingen, nach Italien zurückzukehren. Ich bin nur eine schwache Frau, dachte sie. Dann las sie den Liebesbrief – den ersten ihres Lebens – noch einmal.
42
Unliebsame Offenbarungen beim Abendessen
Keyes kleidete ihre Herrin zum Abend in ein hauchzartes Unterkleid mit einer Spitzenborte, die so fein war, dass sie von einem Fingernagel zerrissen werden konnte. Henrietta trug kein Korsett, denn Darby hatte alle ihre Korsetts fortgeworfen. Über das Kleid kam ein kürzerer Reifrock aus weißem Satin, dessen Saum mit Silberpailletten bestickt war. Das Mieder bestand aus gemusterter Seide, die ebenfalls mit Pailletten verziert war. Den Abschluss bildete ein Oberkleid aus weißer Spitze mit reichem Faltenfall, das einem griechischen Gewand ähnelte. Die ganze Aufmachung war in höchstem Maße elegant – eben all das, was Henrietta nicht war. Selbst ihr Hinken wurde durch die fließenden Spitzen in ein sanftes Gleiten verwandelt.
Wie betäubt schaute Henrietta Keyes’ geschickten Händen zu, die ihr Haar frisierten. Statt es am Oberkopf festzustecken, bürstete ihre Zofe das Haar zu einem glänzenden Wasserfall, der den Rücken hinabfiel und mittels einer silbernen Spange festgehalten wurde, die farblich mit den Pailletten harmonierte.
»Bist du dir wirklich sicher?«, fragte sie zweifelnd und verrenkte sich den Hals, um einen Blick auf ihren Rücken zu erhaschen. »Ich dachte, die derzeitige Mode schreibt vor, das Haar zusammenzubinden und nur eine Locke an der Seite hervorzuzupfen.«
»Mylady besitzt so schönes Haar, dass sie sich keine Gedanken um die herrschende Mode machen sollte.«
Stirnrunzelnd betrachtete Henrietta ihr Spiegelbild. Sie kam sich wie eine aufgeplusterte Ringelblume vor.
Keyes beugte sich vertraulich vor. »Und Ihr Gatte kümmert sich auch nicht um Mode, solange seine Spitze zu sehen ist, Madam.«
»Oh, na schön, einverstanden«, sagte Henrietta, obwohl sie Keyes’ Bemerkung nicht als Rechtfertigung für Ringelblumen-Haar ansah. Doch was spielte das schon für eine Rolle? Sie konnte sich immer noch nicht vorstellen, dass Darby Wert darauf legte, der Londoner Gesellschaft seine hinkende Frau zu präsentieren, da er nun alles daransetzen musste, eine Geliebte zu finden. Von jetzt an würde sie für ihn kaum mehr als ein Kindermädchen sein, wie er einst gesagt hatte.
Die Erkenntnis, dass sie sich kindisch benahm, half auch nicht. Henrietta spürte, wie sie eine tiefe Niedergeschlagenheit überkam, ein Gefühl, das sie seit ihrer Jugendzeit nicht mehr erlebt hatte, als ihr die Ausweglosigkeit ihrer Lage bewusst geworden war.
Darby hatte vor einiger Zeit angeordnet, dass Fanning während des zweiten Ganges nicht im Speisezimmer warten sollte. Nachdem der getreue Butler also einen letzten prüfenden Adlerblick auf den Tisch geworfen hatte, ließ er die Eheleute allein. Henrietta trank einen großen Schluck Rotwein. Er war viel stärker als der Wein, den sie gewöhnlich trank, und ihr wurde ein wenig schwindelig. Doch er verlieh ihr auch Mut für das Kommende.
Die düstere Stimmung hatte sie fest im Griff. Als junges Mädchen hatte sie mitunter tagelang gegen ihr Schicksal gewütet, wenn sie glaubte, ein vom Diktat der Natur bestimmtes Leben nicht länger ertragen zu können. Und jetzt und hier empfand sie es noch bitterer, denn unterdessen hatte sie durch Darby die Freuden der Liebe erfahren.
»Ich muss dir etwas sagen«, begann sie.
Darby sah heute besonders schön aus. Das Kerzenlicht betonte seine hohen Wangenknochen und ließ ihn verwegen, fast morgenländisch wirken und nicht wie einen aufrechten Engländer. Fragend hob er eine Augenbraue.
Henrietta verabscheute die Art, wie sein Blick auf ihr ruhte, als wäre er die Sonne und sie ein Veilchen. Sie holte tief Luft und nahm noch einen Schluck Rotwein.
»Auch ich wollte dir schon länger etwas sagen, Henrietta. Gestern Nacht hast du gesagt, dass du mich liebst.«
Im grauen Licht des Morgens hatte sie sich bereits gewünscht, diesen Satz
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