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Ein delikater Liebesbrief

Ein delikater Liebesbrief

Titel: Ein delikater Liebesbrief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eloisa James
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Miles’ Tod schrecklich einsam gefühlt hatte, hatte sie Carola gebeten, sie doch einmal zu besuchen, sobald die sechsmonatige Periode der tiefsten Trauer vorüber war.
    Esme seufzte und ließ sich wieder in die Kissen sinken, während sie die Gästeliste studierte. Vielleicht blieb noch Zeit für ein kurzes Nickerchen. Carola würde nicht vor dem nächsten Tag eintreffen.
    Ihr Gehirn war so träge. Sie fühlte sich nicht in der Lage, eine Entscheidung im Hinblick auf Rees Holland zu fällen, der ihr eine Nachricht geschickt hatte, er werde bald eintreffen. Darby musste ihn wohl eingeladen haben, und das war eine Katastrophe, da auch Helene jeden Moment zurückerwartet wurde. Wenn Helene sich schon an Darbys Anwesenheit störte, dann konnte sich Esme nur zu gut vorstellen, wie sie auf Rees’ Anwesenheit reagieren würde.
    Vielleicht wäre es gut, einen Spaziergang zum Obstgarten zu unternehmen. Wenn sich jemand mit Rang- und Tischordnung auskannte, war es Marquis Bonnington. Er war gewiss der geeignete Mann, um ihr in diesem Dilemma einen Rat zu erteilen.
    Es sei denn, er ist gerade eifrig damit beschäftigt, einen Abfluss zu graben , dachte Esme mit einem müden Lächeln.
    Sebastian war keineswegs beschäftigt. Esme fand seine Hütte ohne Schwierigkeiten. Sie machte einen ganz gemütlichen Eindruck: eine kleine Einzimmerkate, die am äußersten Ende des Gartens gelegen war. Sie war aus grob verarbeitetem Holz erbaut und Rauch stieg aus dem krummen Kamin. Fast hätte sie nicht anzuklopfen gewagt. Die Herrin des Hauses suchte den Gärtner in seiner Hütte auf! Das gehörte sich einfach nicht.
    Doch dann sah sie vor ihrem inneren Auge ein Bild von Sebastians kritischem Gesicht, bevor er Gärtner geworden war, und sie stieß einfach, ohne zu klopfen, die Tür auf.
    Er lag lang ausgestreckt auf einer einfachen Bank gleich neben dem Kamin, hatte den Kopf in die Hand gestützt und las. Der Anblick brannte sich tief in ihre Seele: die Behaglichkeit und Ungezwungenheit, die seine Haltung ausdrückte, die Hingabe, mit der er las, und das Glück, das er ausstrahlte.
    »Was für ein idyllischer Anblick«, sagte sie neckend.
    Sebastian schaute auf, machte jedoch keine Anstalten, sich zu erheben. Stattdessen seufzte er und legte gemächlich das Buch nieder, dann schwang er seine langen Beine lässig von der Bank.
    Der prüde Marquis ist wirklich ganz und gar verschwunden, dachte Esme staunend.
    Als der breitschultrige Gärtner aufrecht stand, schien die Hütte plötzlich sehr viel kleiner geworden zu sein. Esme hielt an sich, um nicht näher zu treten und seine Brust zu berühren, sich davon zu überzeugen, dass sie tatsächlich so muskulös war, wie sie in dem rauen Arbeitshemd wirkte.
    »Esme. Was für eine schöne Überraschung.«
    »Was liest du da?«, fragte sie und beschloss, ihm doch keine Fragen zur Tischordnung zu stellen. Stattdessen schlenderte sie zu der Bank und setzte sich. Sie hätte das Buch gern in die Hand genommen, doch ihr Bauch war im Weg.
    »Die Odyssee« , erwiderte er und legte ein frisches Scheit aufs Feuer.
    »Homer? Warum liest du denn diesen alten Schinken?«
    »Das ist kein alter Schinken, sondern die einfache Geschichte eines Mannes, der den Weg in seine Heimat sucht. Doch auf seiner Reise kommen ihm alle möglichen Dirnen in den Weg.«
    Sie warf ihm einen scharfen Blick zu. Meinte er die versteckte Anspielung tatsächlich so, wie sie sie gerade verstand? Aber nein. Das wäre sehr unhöflich und ein Marquis Bonnington war niemals unhöflich.
    »Dirnen?«, fragte sie. »Es geht doch um Odysseus? Trifft er nicht den Zyklopen? Und der Zyklop, so habe ich gedacht, wäre ein einäugiges – und sehr männliches – Ungeheuer.«
    »Wohl wahr. Ich lese jedoch gerade das Kapitel über seine Zeit auf der Insel, als er der Sklave der Nymphe Calypso war.« Sebastian gönnte ihr keinen Blick, sondern starrte ins Feuer. Er legte einen Arm auf den Kaminsims. Esme betrachtete ihn voller Verlangen. Gott, wie schön er doch war!
    »Was hat er denn auf der Insel gemacht?«, fragte sie, während sie sich im Geiste eine Standpauke für sündige Begierde hielt.
    »Oh, ganz offenbar ist er der Sklave der Nymphe«, gab Sebastian in verträumtem Ton zurück. Jetzt schaute er sie an, mit einem eindeutig verruchten Ausdruck in den Augen. »Er befolgt jeden ihrer Befehle. Und soweit ich Homer verstehe, genießt sie seine Anwesenheit in ihrem Bett. Man kann daraus nur schließen …«
    »Ach ja«, sagte Esme zerstreut.

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