Ein delikater Liebesbrief
Witherspoon im vergangenen Frühling auf dem Regentenball getan hatte.
»Ich würde gewiss kein Aufheben davon machen«, versicherte sie ihm tröstend. »Ich bin eine durch und durch vernünftige Person – das kann ich Ihnen versichern.«
»Vernünftig? Sie?«
Wieder errötete sie. »Ich bin ein vernunftgeleiteter Mensch. Ich würde Ihren kleinen Schwestern eine gute Mutter sein. Ich würde nie ein Wort gegen Ihre Geliebte sagen …«
»Selbst wenn ich sie vor Ihren Augen zur Schau stellen würde? Was wäre, wenn ich eine Frau aus Ihrem Bekanntenkreis wählte? Was wäre, wenn ich mit ihr tanzte, bevor ich mit Ihnen tanze?«
»Ich kann überhaupt nicht tanzen. Und ich verspreche Ihnen, ich würde keine Miene verziehen, egal was Sie tun. Ich bitte vielmals um Verzeihung, dass ich diesen Brief geschrieben habe. Aber es ist mir gar nicht in den Sinn gekommen, dass ihn außer mir jemand zu Gesicht bekommen könnte. Und dennoch ist es vielleicht für uns alle am besten so.«
Darby betrachtete ihr liebliches ovales Gesicht, das von seidigem Haar eingerahmt war, und hätte sie am liebsten geschüttelt.
»Sie begreifen nichts«, erklärte er ungehalten. »Gar nichts!«
»Was begreife ich nicht? Ich verstehe durchaus, dass Sie enttäuscht sind und …«
»So etwas wie eine keusche Ehe gibt es nicht. Ich kann unter den gegebenen Umständen nicht mit Ihnen zusammenleben, Henrietta.«
Er schaute sie an, während ihre Augen traurig schimmerten. Henrietta schluckte, doch sie vergoss keine einzige Träne.
»Meine Stiefmutter hat mir gesagt, dass Gentlemen bestimmte Erwartungen an eheliche Intimität stellen«, sagte sie schließlich.
»Ich kann mir nicht vorstellen, mit Ihnen zu leben, wenn ich nicht mit Ihnen schlafen kann«, erklärte er heftig.
»Ich verstehe.« Sie biss sich mit aller Macht auf die Lippen, um die Tränen zurückzuhalten. Ihre Selbstbeherrschung machte ihn wahnsinnig und reizte ihn, sie aus der Fassung zu bringen.
Darby begriff nicht, was mit seiner inneren Ruhe geschehen war. Sie schien wie fortgewischt von der schwindelerregenden Aussicht, Henrietta zu heiraten … und nicht mit ihr schlafen zu dürfen … doch mit ihr zu schlafen …
»Warum haben Sie nicht nachgedacht, bevor Sie mich in dieses lächerliche Lügengespinst verwickelt haben?«, fauchte er, außer sich vor Verwirrung. »Haben Sie überhaupt an jemand anderen als an sich selbst gedacht?«
Henrietta blinzelte verblüfft. »Natürlich nicht. Immerhin war es mein Brief. Ich hätte nie gedacht, dass ihn jemand anderes lesen würde.«
»Als Lady Rawlings den Brief in den Speisesaal bringen ließ, hätten Sie gestehen können«, meinte Darby. »Sie hätten mich vor dieser … vor dieser Farce bewahren können!«
»Da haben Sie wahrlich recht«, bekannte Henrietta gefasst. »Aber ich habe es nicht getan, weil ich gierig geworden bin. Ich hatte nämlich nie einen Menschen ganz für mich allein, müssen Sie wissen.«
»Ich weiß«, stimmte er zu und fühlte sich plötzlich ganz erschöpft. »So haben Sie also mich und meine Schwestern ausgesucht.«
Er sah, dass sie ihre kleinen Hände in den Handschuhen zu Fäusten ballte.
»Es tut mir nicht leid, den Brief geschrieben zu haben, und ich bedauere auch nicht, dass sein Inhalt auf diese Weise ans Licht gekommen ist. Ich werde Ihre Schwestern lieben. Ich werde sie so lieben, als wären sie meine eigenen Kinder. Niemand könnte sie mehr lieben als ich.«
Ihr Ton war heftig. Aus ihren Augen blitzte Leidenschaft – jetzt, da es um die Kinder ging. Nicht um ihn.
»Ich sehe keinen Sinn darin, weiter darüber zu diskutieren«, sagte er langsam. »Ich schätze, unser zukünftiges Leben lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Sie spielen für meine Schwestern das Kindermädchen, während ich amouröse Vergnügungen außerhalb des Hauses suche. Und gelegentlich treffen wir uns im Korridor oder am Esstisch.«
»Sie sind sehr grausam«, sagte Henrietta.
»Die praktische Veranlagung ist ein Fluch der Darbys.«
»Ich wüsste keinen Grund, warum wir nicht Freunde sein könnten.«
»Freunde?«
»Ich wäre gern Ihre Freundin, Mr Darby. Ich wäre gern ein wenig mehr als das Kindermädchen in Ihrem Hause.«
»Ich freunde mich nie mit Menschen an, die mir etwas gestohlen haben.«
Allmählich kroch Henriettas Wut unaufhaltsam ihr Rückgrat empor. »Mir scheint, Sir, Sie regen sich unnötig auf. Wenn ich Ihnen nur als Kindermädchen diene, werden Sie mir das Gehalt aus meinem Erbe zahlen. Denn
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