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Ein deutscher Wandersommer

Ein deutscher Wandersommer

Titel: Ein deutscher Wandersommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Kieling
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Wirtschaftswald zu schaffen. Ökonomisch betrachtet sehr einträglich, ökologisch gesehen eine Katastrophe.
    Die größten Vorkommen von Wildkatzen in Deutschland gibt es in den Mittelgebirgen, etwa wie schon erwähnt in der Eifel, darüber hinaus im Hunsrück, dem Thüringer und Bayerischen Wald oder dem Hainich. Kleinere Bestände finden sich in Gegenden, in denen der Mensch durch Forst- und Landwirtschaft eigentlich recht präsent ist. Aus dem einfachen Grund, dass es da viele kleine Nagetiere gibt und die Hauptnahrung der Wildkatze Mäuse sind – nicht Rehkitze und Hirschkälber, wie man früher glaubte.
    Hier aber, im tschechisch-deutschen Grenzgebiet, ist die Welt noch in Ordnung. Hier, wo sich Fuchs und HaseGute Nacht sagen, ist auch Platz für die Europäische Wildkatze.
    Ich schaute mich genauer um. Überall kleine Fußabdrücke, geknickte Zweige, platt gedrücktes Gras. Der Bau war also »bespielt«. Tierbaue sind meistens so angelegt, dass der Ausgang – bei Bauen mit mehreren Ausgängen zumindest einer – im Sonnenbereich liegt. Ab Ende April, Anfang, Mitte Mai zieht es den Nachwuchs, ob nun Katze, Fuchs oder Wolf, hinaus, dann wollen die Kleinen nicht mehr nur im Dunklen sitzen, wo es feucht ist und kühl, sondern in der Sonne spielen und die nähere Umgebung erkunden. Na ja, feucht und kühl war es dieser Tage auch draußen, aber zumindest heller. In der Jägersprache heißt es dann, der Bau ist »bespielt«. Das Muttertier bringt ab diesem Zeitpunkt lebende Beutetiere, die sie vor dem Bau freilässt, damit die Kleinen sich in der Jagd üben können. Eine Phase, die für die Jungen extrem prägend ist.
    Die Kätzin würde sich mit Sicherheit nicht zeigen und auch ihren Nachwuchs nicht ins Freie lassen, solange Cleo und ich in der Nähe waren. Aber, so hoffte ich, vielleicht war das Muttertier ja auf der Jagd. Dann bestünde die Chance, dass die Kätzchen aus dem Bau gekrochen kamen, weil Jungtiere immer ein bisschen unbedarft sind. Sie haben natürlich einen Instinkt, ein Feindverhalten, und verschwinden – brrrp! – im Bau, sobald sich ein Mensch oder Tier nähert. Wenn man sich dann ruhig verhält – ich habe das schon ein paar Mal bei Füchsen erlebt –, denken die Kleinen: Der ist jetzt weg, und nach einer Viertelstunde streckt das erste seine Nase heraus, dann das zweite und das dritte, und nach zwanzig Minuten tollt die ganze Bande wieder draußen herum.
    Da Cleo ihre Witterung am Bau hinterlassen hatte, was für Wildkatzen höchste Alarmstufe bedeutet, mussten wiruns in gebührender Entfernung auf die Lauer legen. Ich fand einen etwas erhöhten Felsen knapp hundert Meter weit weg, von wo aus ich – zumindest mit dem Fernglas – einen guten Blick auf den Wildkatzenbau hatte. An diesem Tag war mir das Glück wirklich hold, denn nach einigen Minuten spitzte die Sonne durch die Wolken und lockte ein Kätzchen nach dem anderen ins Freie. Bald übten sich vier tapsige, tollpatschige Wollknäuel in spielerischen Kämpfen, kugelten durcheinander, jagten im Kreis ihrem eigenen Schwanz nach, versuchten an Zweigen ihre ersten Kletterversuche. Die ganz Mutigen entfernten sich bis zu drei Meter vom Bau, merkten dann plötzlich: Hoppla, wo bin ich? Ich bin ja ganz weit weg!, und rannten in Windeseile zurück. Es war ein Spaß, ihnen zuzuschauen, und ich genoss jede Minute.
    Cleo lag während all der Zeit brav neben mir. Sie hat ein festes Wesen und einen ruhigen Charakter und ist ja auch ein wohlerzogener und gehorsamer Hund. Wenn ich zum Beispiel »Platz!« oder »Ablegen!« und danach »Bleib!« sage, dann bleibt sie an der Stelle. Selbst wenn ich weggehe. Weil sie weiß: Herrchen kommt wieder. Der holt mich immer. Manchmal ist er schon nach fünf Minuten wieder da, manchmal muss ich ein bisschen länger warten. Um das zu erreichen, ist es wichtig, einen Hund nie zu sich heranzupfeifen, wenn man ihm »Platz« oder einen ähnlichen Befehl gegeben hat, sondern ihn immer da abzuholen, wo man ihm das Ablegen befohlen hat. Wobei er natürlich in dem Moment, wo ein paar Meter vor ihm ein Fuchs vorbeiläuft, wie ein geölter Blitz hochschießt und hinterherjagt. Das ist ganz klar. Alles andere wäre meines Erachtens unnatürlich. Doch von der guten Erziehung mal abgesehen, liebt es Cleo auch, mit mir auf der Lauer zu liegen.
    Als ich gerade überlegte, ob Cleo und ich weitermarschieren sollten, tauchte eine Wildkatze mit einer Schermaus, der zweitgrößten Wühlmausart in Europa, im Maul auf. Schermäuse

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