Ein deutscher Wandersommer
Überleben dieser selten gewordenen Tierart nicht schon genug gefährden würden, ist ihre Fortpflanzung beziehungsweise Vermehrung ein sehr komplexer und störanfälliger Prozess: Zunächst schlüpfen winzige Frühformen der Muschel, die die nächsten zehn Monate parasitisch im Kiemenbereich der Bachforelle leben und dort zu einen halben Millimeter großen Jungmuscheln heranwachsen. Das heißt: ohne Bachforelle keine Flussperlmuschel, egal wie gut die sonstigen Lebensbedingungen sind. Wenn die Temperatur und das Bachbett stimmig sind, lassen sich die Muscheln auf den Gewässergrund fallen und graben sich dort ein. Erst nach etwa sieben Jahren, wenn sie ausgewachsen sind und eine harte Schale ausgebildet haben, kommen sie an die Oberfläche des Gewässergrunds.
Vorsichtig löste Stephan Schmidt eines der Tiere aus dem Boden und zog es aus dem Wasser. Sofort schloss esseine Schale und spritzte dabei in kleinem Bogen das überschüssige Wasser heraus. Die dunklen, fast schwarzen Muscheln sind in Deutschland etwa acht bis elf Zentimeter groß, sehen nicht sehr spektakulär aus, wie eine große Teichmuschel. Als ich Cleo die Muschel zum Schnuppern hinhielt, schnappte sie gleich danach. Für sie roch das lecker fischig, und da Cleo ein Hund ist, der alles probieren mag und sogar Grapefruit frisst, war die Verlockung natürlich groß. Herr Schmidt riss entsetzt die Augen auf, doch zum Glück war ich schneller als Cleo. Behutsam setzte der Flussperlmuschelsucher das wertvolle Exemplar in den Bach zurück, wo es sich von ganz allein wieder in den Sand einbuddelte.
Gebirgsbäche, egal ob im Mittel- oder Hochgebirge, sind kleine, in sich geschlossene, höchst sensible Ökosysteme mit einer ebenso empfindlichen Fauna und Flora, die sich über Jahrhunderte entwickelt und auf ihre Umgebung abgestimmt haben, auf das Klima, den p H -Wert des Wassers, sei es nun, bedingt durch die Böden in der Umgebung, eisen- oder kalkhaltig, sauer oder basisch. Während ein Dorfteich oder ein großer Fluss einiges an Verschmutzung vertragen kann, stößt ein Gebirgsbach schnell an die Grenzen seiner Regenerationsfähigkeit. Das Düngen der umliegenden Wiesen, das unachtsame Verschütten einer Flasche Spülmittel oder Altöl kann bereits das Ende des Ökosystems bedeuten, denn Bachneunauge (ein Süßwasseraal), bestimmte Arten von Mühlkoppen oder der europäische Flusskrebs, um nur einige Beispiele zu nennen, brauchen sehr, sehr sauberes Wasser. Andere Tierarten sind da weniger wählerisch. Das Wasser stinkt, ist von Abwässern aus Häusern und Gehöften verseucht, und trotzdem findet man darin Blutegel, Bachflohkrebse oder verschiedene kleine Muscheln.
Entsprechend unterteilt man Flüsse in verschiedene Abschnitte. Am Oberlauf eines Fließgewässers ist die artenarme sogenannte Forellenregion mit starker Strömung und kaltem Wasser mit hohem Sauerstoffgehalt. Dann folgt die Äschenregion mit ebenfalls klarem, kühlen Wasser mit viel Sauerstoff, aber mit mehr Pflanzen. Wird der Fluss breiter und die Strömung schwächer, tummeln sich Barben, Brachsen und Döbel. Die Kaulbarsch-Flunder-Region schließlich findet man in den Unterläufen großer Ströme; sie zählt bereits zum Brackwasserbereich.
Das Phantom der Wälder
Auf der Wanderung lief Cleo meist frei bei Fuß, weil sie sehr gut folgt. Wenn sie eine Fährte entdeckte oder eine Witterung wahrnahm, merkte ich das an ihrem Verhalten und konnte entsprechend reagieren. »Halt! Lass zeigen!«, rief ich dann, ein Kommando, bei dem sie stehen blieb, oft einen Lauf ein bisschen anhob und ihre Nase in die Richtung streckte, in der sie etwas gerochen hatte. Meistens hatte sie dann die Spur eines Marders, eines Fuchses oder eines Wildschweins ausgemacht. Und erst wenn ich sagte: »Such voran!«, verfolgte sie die Fährte.
An einem Tag jedoch zischte Cleo ohne Vorwarnung los, und bevor ich noch den Mund aufbrachte, steckte Cleo ihre Schnauze bereits in einen großen Haufen toten Holzes. Mir war klar, dass sich darunter der Bau eines Raubtiers befinden musste. Ich sah Teile einer Fährte auf Felsplatten, konnte sie aber zunächst nicht genau deuten. Dafür fand ich daneben, im Matsch – es regnete ja seit Tagen – Katzenspuren. Von einer Wildkatze? Ich wollte es zunächst gar nicht glauben.
Die Europäische Wildkatze – einer der großen Beutegreifer Deutschlands, obwohl von der Größe her natürlich nicht mit dem Wolf und dem Luchs gleichzusetzen – ist nicht nur selten, sondern auch derart
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