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Ein deutscher Wandersommer

Ein deutscher Wandersommer

Titel: Ein deutscher Wandersommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Kieling
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viel, aber das wenige nahm ich dankbar wahr und an. Oft fragen mich Leute, wie ich es eigentlich in Deutschland aushalte, da ich doch die große weite Welt kenne, exotische Länder, die Traumziele vieler Menschen. Ich sage dann immer, dass ich das sehr genau differenzieren und michan der Beobachtung eines Feldhasen, am Jagdflug eines Turmfalken oder der Entdeckung eines Feuersalamanders in Deutschland genauso erfreuen kann.
Der Flussperlmuschelsucher
    Ein paar Kilometer bachabwärts, an einer sumpfigen Wiese, sahen wir in einiger Entfernung einen älteren Mann mit Wattstiefeln im Bach knien und vornübergebeugt in eine kleine blaue Plastikwanne gucken. Mein erster Gedanke war: Goldwäscher. Mein zweiter: Der sammelt Unrat. Nein, das konnte es nicht sein, denn er hielt das Ding mit beiden Händen fest. Cleo knurrte erst einmal, als sie ihn sah, denn das sah schon etwas seltsam aus. Warum starrt der die ganze Zeit in diese Spülschüssel?, fragte ich mich. Was gibt es da so Spannendes zu sehen? Schließlich trieb mich meine Neugier zu dem Mann. Um ihn nicht zu erschrecken, rief ich aus einigem Abstand »Hallo«, aber er war so vertieft in sein Tun, dass er mich nicht hörte. Später sollte ich feststellen, dass der Mann sich seiner Sache derart verschrieben hat, dass er stundenlang in gebückter Haltung in eiskaltem Wasser stehen oder knien kann und die Welt um ihn herum völlig ausblendet. Nach zwei weiteren »Hallo!« schaute er endlich auf, ganz entspannt, als ob hier ständig Wanderer vorbeikämen.
    »Was machen Sie denn da mit Ihrer Schüssel im Bach?«, fragte ich.
    »Ich bin staatlicher Flussperlmuschelsucher vom Wasserwirtschaftsamt Hof«, antwortete der Mann mit der silberumrahmten Brille ernst.
    Ich staunte nicht schlecht. In Indonesien hatte ich mal Perlenfischer kennengelernt, aber dass es Flussperlmuschelsucher in Deutschland gibt, war mir neu. Das Arbeitsgerät entpuppte sich als Eigenbau: In den Boden einer herkömmlichen Spülschüssel, wie es sie in jedem Haushaltswarengeschäft oder Kaufhaus zu kaufen gibt, war eine Glasplatte eingesetzt, die es dem Mann erlaubte, den Grund des Flusses abzusuchen, ohne seinen Kopf in das kalte Wasser stecken zu müssen. Wenn er die Schüssel nämlich auf die Wasseroberfläche drückte, brach das die Oberflächenspannung und man hatte ein klares, sauberes Bild vom Gewässerboden.
    »Und, haben Sie schon mal eine Perle gefunden?«
    »Eine einzige in dreißig Jahren«, schmunzelte Stephan Schmidt, wie er sich mittlerweile vorgestellt hatte, und fuhr dann fort: »Früher war Flussperlmuschelsucher in Bayern ein sehr ehrenwerter Beruf, der von Generation zu Generation vererbt wurde. Eine Vertrauenssache, denn die Flussperlmuschelsammler hätten sich die Perlen ja auch in die eigene Tasche stecken können. Damals gab es ein spezielles Gerät, ein Flussperlmuschelmesser, mit dem man die Muschel ganz vorsichtig öffnete. War eine Perle drin, wurde die Muschel getötet. Ansonsten wurde sie in den Fluss zurückgesetzt, in der Hoffnung, dass sie irgendwann einmal eine Perle bildet.«
    Das Wassereinzugsgebiet der Regnitz beherbergt eines der größten – und auch eines der letzten – Flussperlmuschelvorkommen Mitteleuropas.
    »Abwässer, Düngemittel und sonstige Schadstoffe haben den Bestand stark gefährdet«, erklärte mir Herr Schmidt, »denn die Flussperlmuschel braucht kalk- und nährstoffarmes Wasser. Sie ist daher ein sogenannter Kulturflüchter. Doch wohin soll man schon fliehen, wenn man weder Flossen noch Beine hat? Wo es früher in einem einzigen Flüsschen mehrere Millionen dieser sehr sensiblenTiere gab, sind es heute in ganz Bayern nur noch geschätzte 100000 bis 130000.«
    Und um deren Schutz, nicht um Perlen, geht es dem Biologen und Naturschützer. Er katalogisiert die Flussperlmuscheln und beobachtet, wie viele sterben.
    »Hier liegen aber erstaunlich viele Muschelschalen«, wunderte ich mich und deutete auf den Bachgrund.
    »Die sind aber sehr alt«, winkte Schmidt ab.
    »Wie alt kann denn eine Flussperlmuschel werden?«
    Flussperlmuscheln, so erfuhr ich, können nach neuesten Erkenntnissen bis zu 280 Jahre alt werden, zum Beispiel in Schweden. Interessant ist nämlich, dass Größe und Alter nach Norden hin zunehmen. In Spanien etwa wird die Muschel meist nur acht bis zehn Zentimeter groß und lediglich sechzig bis siebzig Jahre alt.
    Als ob die hohen Ansprüche an die Wasserqualität und die, nennen wir sie mal, begrenzten Fluchtmöglichkeiten das

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