Ein deutscher Wandersommer
und Schlüsselring waren noch da, aber von Schildkröte Berta weit und breit keine Spur. Die Wirtsleute waren ziemlich ratlos, denn Berta konnte sich ja nicht einfach den Schlüsselring aus dem Panzer gerissen haben. Während sie sich auf die Suche nach dem Tier machten, trank ich noch eine Tasse Kaffee und studierte meine Wanderkarte. Irgendwann kam Cleo mit einem erstaunlich dicken Bauch angetrabt, wirkte ein bisschen aufgeregt undnervös. Berta weg, Cleo dicken Bauch, nee, das kann nicht sein, unmöglich. Sie muss irgendetwas anderes erwischt haben. Auch die Besitzer der Pension sahen keinen Zusammenhang. Cleo hatte am Abend davor mit der Schildkröte spielen wollen, doch die hatte sie angezischt und sich in ihren Panzer zurückgezogen. Cleo hatte sie daraufhin ein bisschen herumgekugelt, aber bald das Interesse verloren. Als mir das einfiel, bekam ich doch irgendwie Angst, dass Cleo mit der Schildkröte etwas angestellt haben könnte. Ist Cleo vielleicht zurückgekommen und hat die Schildkröte von ihrem Ring abgebissen, damit das Spielzeug, das so seltsam zischte und fremdartig roch, besser durch die Wiese zu kugeln war? Wäre ja keine schlechte Ablenkung, solange der Chef beim Frühstück sitzt. Hm, wäre eine Möglichkeit. Und vielleicht hat Cleo die Schildkröte anschließend irgendwo im Garten vergraben, so wie es Hunde gern mit Knochen machen, nachdem sie eine Weile daran herumgeknabbert haben. Ich suchte den ganzen Garten nach frisch umgegrabener Erde ab, fand aber nichts. Inzwischen war es für Cleo und mich höchste Zeit, aufzubrechen, und wir verabschiedeten uns von den Wirtsleuten, die mittlerweile ebenfalls einen Verdacht gegen Cleo hegten.
Cleo hatte den ganzen Tag über einen schwerfälligen Gang, wollte nicht herumtollen und nicht richtig fressen. Am nächsten Morgen, als Cleo ihren Haufen setzte, offenbarte sich Bertas Schicksal. Denn unter anderem fielen Cleo kleine Panzerplattenteile aus dem Hintern. Ich war fassungslos.
Cleo und ich entschuldigen uns hiermit in aller Form bei Bertas Familie.
Da Cleo bis zu dieser Wanderung praktisch ein Familienhund gewesen war, war ich zu Beginn sehr gespannt, wie wir miteinander klarkommen würden, wenn nun über Wochen nur wir beide zusammen wären. Für sie steht heute noch an erster Stelle mein älterer Sohn. Erik hat sich zwar nie besonders mit Cleo beschäftigt, aber aus irgendeinem Grund findet sie ihn einfach toll. Dann komme ganz schnell ich. Das wechselt dann auch hin und wieder. Mal bin ich ihr Favorit, sozusagen der Leitwolf, und mal ist es Erik. Als Dritte in der Reihe sieht Cleo, ein bisschen widerwillig, meine Frau Birgit, weil meistens Birgit sie füttert und mit ihr Gassi im Wald geht – aber halt nie auf Wildschweinjagd, das ist das Entscheidende. Dann folgt lange Zeit nichts und schließlich irgendwann unser jüngerer Sohn Thore. Er wird von Cleo sogar manchmal angeknurrt; sie merkt: Das ist ein Welpe, der steht wahrscheinlich rangmäßig unter mir – obwohl sie selbst noch sehr jung ist.
Es gibt nur einige wenige Tierarten auf der Welt, mit denen der Mensch eine sehr enge Beziehung eingehen kann. Dazu gehört das Pferd, auch wenn es sich als Fluchttier immer einen gewissen Vorbehalt dem Menschen gegenüber bewahrt. Dazu gehört mit Sicherheit die Katze, obwohl Katzen von ihrem Wesen her eigentlich Einzelgänger sind. Und dazu gehört der Hund, der in seiner ursprünglichen Form, dem Wolf, in einem Rudel mit Rangordnung lebt, sozial organisiert. In der domestizierten Form ist der Mensch sein Rudel, weshalb der Hund sich von allen Tieren am engsten dem Menschen anschließt und die größte Treue zeigt. Selbst wenn ein Hund geschlagen wird (was ich natürlich nicht tue), bleibt er bei einem. Das heißt allerdings nicht, dass ich solchen Kadavergehorsam gut finde, im Gegenteil, aber so ist der Hund nun mal. Der Hund siehtseinen Menschen als Leitwolf, lernt von ihm und macht im Prinzip das, was man ihm beibringt. So macht es der junge Wolf, und so macht es der junge Hund. Deshalb ist es oft so, dass Hunde, die lange mit einem Menschen zusammen sind, sich dessen Marotten und Eigenheiten anpassen. Zwischen Mensch und Hund kann eine derart innige Beziehung wachsen, dass es selbst einen tiererfahrenen und, was die Natur angeht, nüchtern denkenden Menschen wie mich immer wieder verblüfft und staunen lässt. Das muss man wissen, wenn man sich auf einen Hund einlässt. Der Hund ist zu einer solch engen Beziehung bereit, ist man selbst
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