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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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mehr als dem Chinesen. Der dritte hingegen mit seinem blaßblauen Knitteranzug schien ein wenig abwesend, sediert.
    Der Wirt unternahm einen letzten Versuch, seinen Stammgast Smolek in eine bessere Position zu bringen, und schlug vor, ihn zunächst per Telefon aus dem Schlaf zu holen, bevor man ihn dann aufsuchen würde.
    »Nein«, blieb Cheng stur. »Die Nummer.«
    Herr Stefan kapitulierte. Er sagte: »Läuten Sie bei Reischl. Das ist der Mädchenname von Frau Smolek. Die Wohnung stammt noch von den Eltern. Die Smoleks haben in all den Jahrzehnten das Türschild nicht ausgetauscht, obgleich das sehr ordentliche Menschen sind. Aber schließlich geht es dabei nicht um Ordnung, sondern um Tradition. Wie das in Wien halt so ist. In Deutschland hingegen, glaube ich, würde einen die Post deswegen ins Gefängnis stecken lassen.«
    Cheng, der ja einige Zeit in Stuttgart verbracht hatte, nickte zustimmend. Es gab Klischees, die einfach paßten. Und daß die Deutsche Post den Charakter einer – nobel gesagt – militärischen Einrichtung besaß, war nun mal ein Faktum. Die Deutsche Post, wie auch immer organisiert, dachte stets in den Kategorien eines Ausnahmezustands. Das tat die Österreichische Post zwar ebenso, hatte es aber mit einem Gegner zu tun (also ihrer Kundschaft), der sich zu wehren wußte. Und sei es mittels des hartnäckigen Erhalts unkorrekter und irreführender Namensund Nummernschilder.
    »Kommen Sie mit«, wies Cheng den Wirt an.
    »Wieso das?« fragte Herr Stefan. »Was wollen Sie jetzt noch?«
    »Sie dabeihaben.«
    »Haben Sie Angst, ich rufe Smolek an? Warne ihn vor seinen Kollegen ?«
    »Jetzt reicht’s«, unterbrach Anna Gemini das Geplänkel.
    »Soviel Zeit haben wir nicht. Los endlich!«
    »Bitteschön!« behielt Cheng seine Höflichkeit bei und lud den Adlerhofwirt mit einer knappen Geste dazu ein, hinter seiner Theke hervorzukommen.
     
    Kurz darauf stand man vor der dunkelbraunen, hölzernen Haustüre, die wie die meisten Wiener Altbauhaustüren an den Eintritt in eine luxuriöse Vorhölle erinnerte. Und etwas von einer Vorhölle erwarteten sich die vier Personen auch, jeder auf seine Art.
    »Sie wohnen doch ebenfalls hier?« fragte Cheng den Wirt, darauf spekulierend, daß Gasthausbetreiber sich nie weiter als nötig von ihren Lokalitäten entfernten.
    »Ja. Das tue ich. Und jetzt wollen Sie wahrscheinlich, anstatt anzuläuten, daß ich einfach aufsperre.«
    »Genau das.«
    Doch im Gegensatz dazu, hob Herr Stefan überraschend schnell seine Hand und drückte jene fünf Ziffern, die für den Namen Reischl reserviert waren.
    »Auch gut«, seufzte Cheng, nicht weiter verärgert. Was sollte man auch tun? Diesen braven Wirt tatsächlich mit Waffengewalt gefügig machen? Unsinn. Es gab Grenzen. Zumindest gab es Momente, da man sich an diese Grenzen hielt.
    Nachdem eine ganze Weile vergangen war, meldete sich eine unsichere Frauenstimme und wollte wissen, was denn los sei.
    »Wir müssen Ihren Mann sprechen«, sagte Cheng. »Und zwar sofort.«
    »Wer ist da?« fragte Frau Smolek.
    »Polizei«, antwortete Cheng. »Ist Ihr Mann zu Hause?«
    »Er sitzt … er ist im Arbeitszimmer, nehme ich an. Sie sagten Polizei. Aber was um Himmels willen ist denn passiert?«
    »Machen Sie auf!« ordnete Cheng in einem Ton an, als sage er das fünfmal am Tag.
    Das übliche Geräusch eines leicht unter Strom stehenden Schlosses erklang. Anna Gemini drückte die Türe auf.
    Im Eintreten wollte Herr Stefan wissen, ob das mit der Polizei ein schlechter Scherz sei.
    »Sie meinen«, sagte Cheng, »daß ich nicht aussehe, als würde ich für den Staat arbeiten.«
    »Nicht für den österreichischen.«
    »Da haben Sie recht. Ich bin von der Pekinger Polizei.«
    »Dafür wiederum sprechen Sie ein ziemlich akzentfreies Deutsch.«
    »Stimmt. Während man Ihnen den Ungarn durchaus anhört.«
    »Glücklicherweise«, meinte der Wirt. »Bei mir hat alles seine Richtigkeit. Bei Ihnen weniger. Außerdem sind wir hier nicht in Peking, soweit ich weiß.«
    »Ein Stückchen Peking ist überall«, sagte Cheng. Mehr sagte er nicht, als sei das genug der Erklärung.
    Smolek und seine Frau wohnten in einem der oberen Stockwerke, was eingedenk der Bemerkung mit den störenden Küchengerüchen ein wenig irritierend war. Andererseits: Gerüche nahmen manchmal komplizierte Wege, belästigten also nicht den nächstbesten, so wie sie nicht in die nächstbeste Wohnung eindrangen. Mitunter betörte das Parfüm einer Frau einen Mann, der sich kaum

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