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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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ist Carl?« rief Anna Gemini und trat rasch an den Tisch heran. Rasch, aber auch torkelnd, als habe sie ihr Gleichgewicht verloren. Ihre Not trat zutage. Aber es trat auch etwas anderes zutage.
    Herr Stefan, ein Freund klarer Verhältnisse, hatte gleichzeitig den Lichtschalter betätigt, sodaß die Milde der Stehlampe und die Selbstverliebtheit der Tischleuchte eine kräftige Ergänzung von der Decke her erhielten. Kräftig genug, um zu erkennen, daß Kurt Smolek nicht mehr in der Lage sein würde, sich persönlich zu rechtfertigen. Sein Antlitz schimmerte in verschiedenen Farben und erinnerte an einen dieser Fußballfans, die sich ihre Gesichter beschmieren. Im Falle Smoleks hätte man meinen können, es der grünen, der reinweißen und der roten Farbe wegen mit einem Anhänger der italienischen Nationalmannschaft zu tun zu haben. Passender wäre freilich gewesen, wenn Smoleks Visage in Blau und Gold erblüht wäre. Eine Kombination, die sich eindeutiger auf die erfolgte Intoxikation bezogen hätte. Tödliche Intoxikation, wie man sagen muß. Denn zu retten war da nichts mehr. Der Mann hatte aufgehört zu leben. Was gerade darum – zumindest für die Eingeweihten – paradox anmutete, da nämlich eine ganze Reihe auf dem Tisch verteilter, leerer 4711-Flaschen davon zeugte, daß sich Smolek mit einem Wässerchen ums Leben gebracht hatte, von dessen lebensspendender Kraft er überzeugt gewesen war.
    (Obgleich zuvor gesagt worden war, daß zuviel besser ist als zuwenig, gibt es natürlich auch Grenzen, vor allem im Umgang mit fünfundachtzigprozentigem reinem Alkohol.)
    Wenn überhaupt, dann war es nur im ersten Moment stichhaltig, daß Smolek sich eine Überdosis 4711 verabreicht hatte, um der Sache auf den Grund zu gehen. Doch welcher Grund sollte das gewesen sein? Denn Smolek selbst war ja keine tote Lehm-Masse gewesen, die zu erwecken es gegolten hätte. Welche Erkenntnis sollte ein solcher Selbstversuch also beinhalten? Daß man an einem Parfüm sterben konnte, wenn man es literweise zu sich nahm? Wenn hingegen ein obskurer, die eigene Obsession zelebrierender Selbstmord vorlag, der Suizid eines kleinen Gottes, wozu die Entführung? Wozu einen Kartäuser kidnappen, um sich gleich darauf das Leben zu nehmen?
    Zudem stellte sich die Frage, wie Kurt Smolek – göttlich hin oder her – es hatte schaffen können, in einem ziemlich kurzen Zeitraum Carl wo auch immer hinzubringen oder zu verstecken, um sich sodann eine derartige Menge 4711 einzugießen. Es war kaum vorstellbar, daß jemand sich einfach hinsetzen und das Zeug in Windeseile hinunterzuschlucken vermochte. Jemand, der kein schwerer Trinker gewesen war.
    »Wir rufen jetzt die Polizei«, entschied Cheng.
    »Ich dachte«, sagte Herr Stefan ein wenig kleinmütig, » Sie sind die Polizei.«
    »Das hatten wir doch schon. Aus Peking, sagte ich. Jetzt aber rufen wir die Wiener Polizei. Der Mann ist tot. Da gehört sich das.«
    In diesem Moment hatte Anna Gemini die völlig entgeisterte Helga Smolek an ihrem Hausmantel gepackt, schüttelte sie und brüllte ihr die Frage ins Gesicht, wo das Kind sei.
    »Welches Kind?« fragte Frau Smolek wie aus einer Betäubung heraus.
    »Carl. Mein Junge. Ein vierzehnjähriger Junge. Ihr Mann muß ihn hier …«
    Anna ließ die Frau, die jetzt eine Witwe war, los. Es war deutlich zu erkennen, daß man Frau Smolek noch hundert Jahre am Mantel hätte beuteln können, ohne eine Antwort zu erhalten, die zu geben sie so oder so nicht in der Lage gewesen wäre. Anna versuchte es anders, rief nach Carl, rief seinen Namen, glitt aber nicht nochmals ins Hysterische ab. Sie hatte sich gefangen, hatte ihre Kontrolle zurückgewonnen. Sie verließ den Raum und bewegte sich durch die Wohnung, klopfte gegen Wände, sah in Kästen, rief und lauschte. Dabei wurde sie von Janota begleitet. Was wiederum ein bißchen merkwürdig war. Das gemeinsame Vorgehen von Killerin und prospektivem Opfer. Als gehöre man nun mal zusammen. Gleich Zwillingen.
    Währenddessen bat Cheng den Adlerhofwirt um sein Handy, da er selbst ein solches nicht besaß, andererseits Smoleks Apparat nicht anfassen wollte. Eine kleine Regel, aber keine dumme.
    Herr Stefan reichte ihm sein Gerät. Widerwillig, wie man sah. Auch bat er Cheng, sich kurz zu halten.
    »Natürlich«, versprach Cheng. »Es gibt nichts, was man durch ein Telefon wirklich gut erklären könnte. Woran unsere Sprache keine Schuld trägt. Wahrscheinlich liegt es am Draht.«
    »Bei einem Handy gibt es keinen

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