Ein dickes Fell
tiefer in seine Trauer versank, aber nichtsdestotrotz den Wagen anstandslos durch die nun ziemlich leeren Straßen zurück in die Stadt steuerte, stellte Cheng die Frage, woher Smolek – wenn er denn die Tötung Gudes gar nicht vermittelt habe – wissen konnte, daß Anna Gemini dafür verantwortlich sei.
»Er weiß es nicht, er vermutet es. So wie Sie«, vermied Anna erneut ein Geständnis. Und ergänzte: »Smolek hat gemeint, daß die Liquidation Gudes in ihrer Stillosigkeit meinem Stil vollkommen entspreche. Das Fehlen von etwas Persönlichem.«
»Ach je!« wunderte sich Cheng. »Jemand in einer Ausstellung erschießen, während man den eigenen Sohn bei der Frau des Opfers zurückläßt, halte ich nicht gerade für ein Musterbeispiel an Beliebigkeit.«
»Davon wissen Sie?«
»Natürlich. Weil Smolek davon weiß. Er dürfte nachgeforscht haben.«
»Ich habe ihm erklärt«, sagte Anna, »nichts damit zu tun zu haben.«
»Das scheint er Ihnen nicht zu glauben. Er kennt Ihre einmalige Art von Stillosigkeit. Als mordete ein Kartäuser. Wahrscheinlich war ihm das klar, noch bevor die Dänen an ihn herangetreten sind, sich um die Sache zu kümmern.«
»Ist das nicht Ihr Job, sich darum kümmern?«
»Richtig!« sagte Cheng. »Mein Job. Weshalb ich ja gerne wüßte, weshalb Gude …«
»Sie wiederholen sich«, erinnerte Anna Gemini. Und riet:
»Lassen Sie mich in Frieden damit. Tun Sie, was Sie tun müssen. Aber werden Sie nicht penetrant.«
»Vielleicht können wir uns auf ein Geschäft einigen.«
»Was haben Sie vor?« ging Anna in die Höhe. »Mich im Stich lassen, wenn ich nicht rede?«
»Nein«, sagte Cheng, wiederholt mit jener Unbedingtheit, mit der er zuvor die Fahrtrichtung neu bestimmt hatte.
Und auch diesmal war Anna Gemini beeindruckt. Sie glaubte jetzt, daß dieser Chinese als Wiener, dieser elegante Einarmige, der richtige Mann an ihrer Seite war. Zumindest angesichts der Situation, in der man sich befand.
Und Janota? Nun, er konnte immerhin ganz passabel einen Wagen lenken. Wobei es freilich unsittlich war, sich von einem Mann chauffieren zu lassen, den man töten wollte. Doch so sehr Anna gerade noch entschlossen war, ihren Auftrag zu erfüllen, begann sie zu spüren, daß die Möglichkeit, Janota zu liquidieren, vertan war. Es gab Dinge, die nur einmal blühten. So auch Möglichkeiten.
Anna Gemini ahnte also, daß sich ihr moralischer Anspruch, entweder alle Aufträge zu erfüllen, oder keinen, nicht würde einlösen lassen. Aber das war eine Sache, die sie mit ihrem Gott auszumachen hatte.
23 Ein Stückchen Peking ist überall
Montag war im Adlerhof Ruhetag, obgleich sich keiner der Stammgäste vorstellen konnte, wie denn im Leben des Herrn Stefan ein Ruhetag aussah. Was tat ein Wirt, dem das eigene Lokal nicht nur wie eine zweite, eher wie eine erste Haut am Leib klebte? Was tat er mit all den Stunden, da er weder Gläser füllte noch Gäste bediente und solcherart in eine Art widernatürliche Situation geriet?
Man stelle sich einen Fisch vor, der einen Tag lang an Land ginge, beispielsweise um die Universität zu besuchen, mag sein die Zoologische Fakultät, aber dennoch einen fremden, untauglichen Ort, um dort einen Tag lang die Luft anzuhalten und dabei Dinge zu erfahren, die er ohnehin wußte. Unsinn, nicht wahr? Fische haben eine Funktion und eine Bestimmung. Sie kennen keinen Urlaub und kein Leben außerhalb ihrer Funktion, von einem Leben an Land ganz zu schweigen. So ist es auch mit dem Ruhetag im Leben eines wahrhaftigen Wirtshausbesitzers. Eine perverse Angelegenheit, die in keiner Weise der Erholung dieses Wirtes oder dieser Wirtin gilt, sondern bloß einer gesellschaftlichen Konvention, die noch immer Ruhetage vorschreibt. Wobei gerade der Montag als Alternative zum gängigen Sonntag (man denke an Friseure, Museen und eben Wirtshäuser) eine unnötige Verzögerung des Wochenanfangs bildet. Der Konsument ist gezwungen, erst mit dem einbrechenden Dienstag eine Initiative ob seiner Frisur, seiner Liebe zu montäglich versperrten Künsten und montäglich versperrten Stammlokalen zu ergreifen. Als würden Haare montags nicht wachsen. Liebe und Durst montags ausbleiben.
Nun war es aber bereits zwei Stunden nach Mitternacht, als der von Janota gelenkte Jaguar vor dem Adlerhof hielt. Hinter den Scheiben brannte Licht, wobei die Prismenstruktur des Glases einen genauen Blick verwehrte. Jedenfalls schien Herr Stefan sich frühzeitig in die Wirklichkeit seiner ersten Haut
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