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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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vermittelt.«
    »Wieso? Ist Frau Reti eine alte Freundin?«
    »Ich weiß es nicht«, gestand Anna Gemini. »Smolek hat sich diesbezüglich bedeckt gehalten. Wie immer.«
    »Und Sie?« wandte sich Cheng an den lenkenden Janota.
    »Wenn Sie etwas wissen, sollten Sie es sagen. In unser aller Interesse.«
    »Ich weiß nichts. Ich kenne keinen Smolek. Ich verwende kein 4711. Mein Herz ist nicht aus Lehm. Mein Verstand nicht aus Plastilin. Ich habe ganz andere Probleme. Nichts, was Sie beide auch nur annähernd verstehen würden.«
    »Große Worte«, sagte Anna Gemini. »Sie sollten froh sein, noch am Leben zu sein.«
    »Wenn Sie wüßten«, erwiderte Janota.
    »Wie ich sagte, große Worte.«
    »Lassen wir das«, entschied Cheng. Mit einem Mal tippte er sich auf die Stirn und rief aus: »Genau!« Sodann wies er Janota an, obgleich man sich bereits in unmittelbarer Nähe der Wotrubakirche befand, den Wagen zu wenden und jene Burggasse anzusteuern, in welcher das Gasthaus Adlerhof lag.
    »Was soll das?« fragte Anna, während Janota augenblicklich stoppte.
    »Ich weiß jetzt«, erklärte Cheng, »wo Smolek wohnt. Die ganze Zeit über habe ich versucht, mich zu erinnern. Da war etwas … gestern, als ich mit Smolek in diesem Wirtshaus saß. Und jetzt ist es mir endlich klar geworden.«
    Cheng erwähnte den Wirt des Lokals, jenen Herrn Stefan, und berichtete davon, daß Smolek sich bei diesem darüber beschwert habe, der Geruch aus der Küche würde schon wieder sein Badezimmer verpesten. Denn so großartig die Speisen im Adlerhof auch wären, so unerfreulich sei es, wenn einem beim Zähneputzen der Geruch von Bratenfett in die Nase steige.
    »Ich habe da nur so halb hingehört«, erzählte Cheng, »ohne mir Gedanken zu machen. Worüber auch? Jetzt aber erinnere ich mich und kann nur folgern, daß Smolek in demselben Haus wohnt, in dem auch sein Stammlokal liegt. Wie sonst sollte sich Herrn Stefans Küchengeruch in Herrn Smoleks Badezimmer verirren?«
    Gemini schüttelte ihren Kopf und sagte: »Das hilft uns nichts. Was glauben Sie denn? Daß Smolek meinen Jungen zu sich nimmt? In seine Wohnung? Unmöglich. Er hat eine Frau, die sich wundern würde. Eine Frau, die nicht die geringste Ahnung hat, was ihr Mann wirklich treibt. Die ihn für ein Würstchen hält, nicht für einen Gott.«
    »Trotzdem«, widersprach Cheng. »Wir sollten es versuchen. Etwas tun, mit dem er nicht rechnet. Zum Beispiel mit seiner Frau sprechen. Nachfragen, ob sie ihn wirklich für ein Würstchen hält.«
    »Ich möchte vorher aber lieber nach Hause …«
    »Nein«, bestimmte Cheng mit jener seltenen, aber wirksamen Strenge, mit der er zu überraschen verstand. Selbst noch eine Anna Gemini.
    In solchen Momenten konnte man meinen, Cheng wüßte ganz genau, was zu tun ist. Obgleich dies so gut wie nie der Fall war. Wenn Cheng »bellte«, dann, weil ihm danach war. Gefühlsmäßig. So wie ihm hier und jetzt, in dieser Nähmaschine von einem Jaguar sitzend, sein Gefühl sagte, es sei besser, die Gemini-Villa zunächst einmal zu meiden und statt dessen jenen Gebäudekomplex anzusteuern, in welchem Herrn Stefans famose Wirtsstube lag. (Übrigens trug der Häuserblock auch als Ganzes den Namen Adlerhof. Wobei man sich gerne vorstellte, daß die zusammenhängenden Gebäudeteile wie eine Frucht aus der Gastwirtschaft herausgewachsen waren. Oder wie ein Roman aus einer grundlegenden Idee. Oder wie ein ganzer Kosmos aus einem Daumenabdruck.)
    »Burggasse also«, sagte Janota mit der Geduldsmiene eines alten Chauffeurs und wendete den Wagen. Nie in diesen zehn Jahren hatte er sich so müde und traurig und hoffnungslos gefühlt. Nie in diesen zehn Jahren so weit weg von der Welt, in der er einmal zu Hause und zufrieden gewesen war. – 4711!? Was für ein Schabernack? Selbst wenn es stimmte. Selbst wenn man tatsächlich mit einigen Spritzern Kölnisch Wasser einen Lehmklumpen zum Zucken bringen konnte, ja, sogar wenn es möglich war, dank eines getunten 4711 einen Golem zu schaffen, der im Gegensatz zu seinem historischen Vorbild sprechen konnte, etwa die Worte Obgleich mir ein Magen fehlt, habe ich Hunger, es blieb in jedem Fall eine erbärmliche Sache, erbärmlich wie alles, was diese Menschen tagtäglich taten. Erbärmlich wie ihr Ringen um eine bessere Figur, ihr Ringen um Erkenntnis, ihr Ringen um Originalität und gleichzeitig um Anpassung. Ihr ständiges Verweilen im Widerspruch, im Paradoxon und in den gigantischen Weiten des Kleinkarierten.
    Während Janota

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