Ein dickes Fell
und sagte: »Passen Sie bitte auf, wenn Sie sich mit Frau Gemini beschäftigen. Möglicherweise ist sie eine von diesen … Na, Sie wissen ja, welche Art von Frauen in der Regel durch mein Leben geistern.«
»Oh Gott!« Straka verstand.
VII Zuspitzungen
Die Übereinstimmung, Harmonie, von Gedanke und Wirklichkeit liegt darin, daß, wenn ich fälschlich sage, etwas sei rot, es doch immerhin nicht rot ist. Und wenn ich jemandem das Wort »rot« im Satze »Das ist nicht rot« erklären will, ich dazu auf etwas Rotes zeige.
PHILOSOPHISCHE UNTERSUCHUNGEN, LUDWIG WITTGENSTEIN
25 Diktatur und Rache
»Das ist keine Kunst«, sagte Cheng und blieb vor dem Tisch stehen, an dem Straka bereits seit einigen Minuten saß.
»Wie meinen Sie das?« fragte der Kriminalist und sah sich verwirrt um.
Nun, Cheng meinte damit dieses ganze Albertina-Restaurant in seiner polierten Belanglosigkeit. Schick und modern im schwächsten Sinne dieser Worte. Einer von den Plätzen, an denen selbst einem ordentlichen Menschen die Reinlichkeit auf die Nerven fallen konnte, da diese Reinlichkeit praktisch alleine dastand, so wie uns ja auch ein Mensch wenig bedeutet, der nichts anderes als sauber ist. Und nur noch übertroffen beziehungsweise unterboten wird von einem Menschen, der sich damit begnügt, nichts anderes als verdreckt zu sein.
Das Albertina-Restaurant hob sich somit bloß von jenen Lokalitäten ab, die ausschließlich aus verschmutzten Böden, fleckigen Tellern und Kellnern mit Alkoholfahnen bestanden. Fand Cheng.
Da es nun aber sinnvoll war, die Absenz jeglicher Kunst dadurch zu beschreiben, daß man mitteilte, was man überhaupt unter Kunst verstand, erklärte Cheng, daß er jetzt sehr viel lieber im Wirtshaus des Herrn Stefan wäre.
»Was denn? Sie halten das Adlerhof für Kunst?« staunte Straka. »Verstehe ich Sie richtig, Cheng?«
»Exakt. Man muß genau hinsehen. Selbst noch die Tische aus Resopal und die Fotos der Fußballmannschaften an den Wänden sind Ausdruck von Kunst. Sie entspringen einem Einfall und besetzen genau den Platz, der ihnen zusteht. Nicht zuviel davon und auch nicht zuwenig. Das ist der eigentliche Sinn der Kunst. Einen freien Platz zu finden. Hier aber, in diesem sogenannten Museumsrestaurant, ist von Kunst keine Spur. Nirgends ein Einfall zu sehen, nicht einmal ein schlechter.«
»Na ja«, hob Straka seine Augenbrauen an, »wir sind zum Essen hier, nicht wahr? Dazu muß man nicht in einem Kunstwerk sitzen. Außerdem … ich war gestern noch in der Wirtsstube von diesem Ungarn … Also, ich weiß nicht recht.«
»Ein heiliger Ort.«
»Sie machen Witze«, meinte Straka und forderte Cheng auf, endlich Platz zu nehmen. So schlimm würde es schon nicht werden. Zudem passe er, Cheng, tipptopp wie er sei, sehr viel besser an diesen Platz als zur verstaubten Atmosphäre des Adlerhofs.
»Daß Sie das finden, kränkt mich.«
»Es war aber als Kompliment gemeint.«
»Ich nehme den Wunsch für die Wirkung«, sagte Cheng und setzte sich in einer Weise, als fürchte er, sich zu vergiften. Oder zumindest seinen Anzug zu vergiften. Was ja für Cheng eigentlich das Schlimmere gewesen wäre. Der Anzug war seine wirkliche Haut. So wie der Adlerhof die wirkliche Haut des Herrn Stefan bedeutete.
»Wo ist eigentlich Ihr Hund?« fragte Straka. »Ich habe gehofft, dem Todgeglaubten zu begegnen.«
»Zu kalt für ihn, der Tag«, antwortete Cheng. »Mein Quartiergeber gibt auf ihn acht.«
Straka winkte einem Kellner, der schnurstracks angerannt kam. Offensichtlich wußte er, wer Straka war. Ein angerannter Wiener Kellner ist stets Zeichen irgendeiner Verbundenheit oder intimen Kenntnis. Oder größter Furcht.
»Trinken wir Wein?« fragte Straka.
»Nein danke«, sagte Cheng. »In solchen Lokalen trinke ich nie Wein, weil in solchen Lokalen der Wein prinzipiell zu warm serviert wird. Nicht mit Absicht, natürlich nicht, sondern aus Ignoranz. Weil die Weine neben der Geschirrspülmaschine gelagert werden, was weiß ich. Nein, ich möchte ein Mineralwasser.«
Straka bestellte Mineralwasser für Cheng und einen Merlot für sich. Nachdem der Wein gekommen war und Straka daran genippt hatte, wog er seinen Kopf hin und her und kräuselte seine Lippen.
»Zu warm, habe ich recht?« erkundigte sich Cheng.
»Zu warm«, bestätigte Straka.
»Wäre im Adlerhof nicht passiert.«
»Nächstes Mal treffen wir uns dort«, versprach der Oberstleutnant. »Jetzt aber zum Thema. Der Junge ist nach Hause
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