Ein dickes Fell
gekommen.«
»Carl?«
»Ja. Wie ich angekündigt habe. Um sieben in der Früh ist er aufgetaucht. Zusammen mit einem Mädchen, ein wenig älter als er. Ich habe mir die beiden bereits vorgeknöpft. Aus dem Bub freilich war nicht viel herauszubekommen … Apropos, kein Mensch hat mir gesagt, daß … na ja, daß er behindert ist. Eine kleine Anmerkung, lieber Cheng, wäre ganz hilfreich gewesen.«
»Merkwürdig«, meinte Cheng, »daß ich ganz darauf vergessen habe, es zu erwähnen. Aber unterschätzen Sie den Jungen nicht. Ein Kartäuser. Ein wacher Geist.«
»Ein wacher Geist in einer kranken Hülle«, ergänzte Straka.
»Jedenfalls war es um einiges leichter, mit dem Mädchen zu sprechen. Handelt sich um ein Straßenkind. Die übliche Karriere in Erziehungsheimen. Intelligentes Mädchen. Nennt sich Qom.«
»Qom?«
»Ist Klingonisch, wie sie mir erklärt hat. Allerdings hat sie mir nicht verraten, ob der Name eine Bedeutung hat. Eine, die man vielleicht besser kennen sollte. Jedenfalls läuft unser Fräulein Qom mit einer dressierten Amsel herum. Das war mir neu, daß so was bei Amseln funktioniert. Der Vogel hockt tatsächlich auf ihrer Schulter, fliegt auch mal weg, kommt zurück, setzt sich auf den Tischrand, auf die Hand, die Schulter, und tut so, als hätte er eine Menge zu erzählen. Ein bißchen nervig mitunter. Der Vogel mag es nicht, wenn man sich mit seinem Frauchen unterhält.«
»Amseln tendieren zur Eifersucht, das ist bekannt«, sagte Cheng, als wüßte er das wirklich.
»Was Sie nicht sagen.«
»Hat der Vogel einen Namen?« fragte Cheng, während er die Speisekarte überflog, so wie man Krisengebiete überfliegt.
»Bruno«, sagte Straka. »Der Vogel heißt Bruno.«
Cheng war verblüfft. Wie kam jemand, der sich selbst dramatischerweise einen klingonischen Namen gab, dazu, seinen Vogel ganz einfach Bruno zu nennen? Anstatt etwa King Lear oder Humphrey oder General Sowieso.
Straka erklärte, daß das Fräulein Qom ebenfalls zu einer Gruppe illegitimer Kartäuser gehöre. Weltlicher Nonnen sozusagen. Und daß also der Taufname der Amsel an den Gründer der Kartäuser, den heiligen Bruno, erinnere. Was ja dramatisch genug sei, eine Amsel nach einem Ordensstifter und Heiligen zu benennen.
»Ja, so betrachtet schon«, nickte Cheng. »Allerdings laufen oder fliegen mir eine Spur zu viele Kartäuser herum. Man könnte meinen, eine Verschwörung sei im Gange. Eine Revolution, die sich auf leisen Sohlen nähert.«
Straka lachte. Dann bestellte er Fisch. Cheng hingegen einen Salat, das kleinste Übel wählend.
»Carl und Qom«, erzählte Straka, »kennen sich schon länger. Nicht, daß da etwas wäre. Ihre Beziehung ist die zwischen einer Nonne und einem Mönch. Alles überaus korrekt und gottgefällig. Wie mir das Mädchen versichert hat.«
»Und letzte Nacht?«
»Die kleine Qom hat so eine Stelle, wo man sie finden kann. Matzleinsdorfer Platz, Unterführung. Carl ist dort aus einem Wagen gestiegen. Smolek hat ihn begleitet und sich eine Weile mit dem Mädchen unterhalten.«
»Nannte er seinen Namen?«
»Das nicht. Hat nur gesagt, er sei ein Freund der Familie und hätte Carl unterwegs aufgegabelt. Anna Gemini sei aber nirgends zu erreichen, weshalb er Carl hierher, zu ihr, Qom, bringe. Er habe von ihr gehört und wisse also, daß man sich auf sie verlassen könne.«
»Sieh an«, meinte Cheng. »Smolek als Kuppler.«
»Wie gesagt, das scheint eine platonische Geschichte zu sein. Was natürlich nichts heißt. Im Platonischen liegt ein Hund begraben. Aber darum geht es jetzt auch gar nicht. Entscheidend ist etwas anderes, und ich muß gestehen, daß es mir einigen Kummer bereitet. Wenn nämlich die Angaben von dem Qom-Mädel stimmen, und davon gehe ich aus, dann paßt etwas ganz und gar nicht zusammen. Es war nämlich ziemlich spät, als Carl und Smolek auf das Mädchen trafen. Etwa der Zeitpunkt, als Sie, mein lieber Cheng – Sie und Frau Gemini und dieser Kompositeur –, soeben die Leiche Smoleks entdeckten.«
»Was?«
»Wie ich sagte. Als Smolek bereits tot war, in der Burggasse tot war, scheint er überaus lebendig in der Unterführung des Matzleinsdorfer Platzes gestanden zu haben.«
»Nicht Ihr Ernst?«
»Leider schon. Dazu kommt, daß Hantschk vermutet, daß die Tatzeit auf den frühen Abend fällt. Noch vor dem Konzert.«
»Ja, das wäre dann doch verwirrend«, sagte Cheng. »Wie sicher ist aber, daß das Mädchen sich nicht irrt? Für diese jungen Leute sieht ein mausgrauer
Weitere Kostenlose Bücher