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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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sagen, ob man einen Nachmittag vor sich hat, oder einen nach sich. Anders gesagt: Ich rauche in der Zwischenzeit ganztägig.«
    »Ach was!?« meinte Cheng, eine Zigarette so bedächtig aus der Packung nehmend, als ziehe er ein Los, was ja nichts nützt, ein Los mit Bedacht zu ziehen. »Bei mir ist es umgekehrt. Ich rauche jetzt nur noch zum Vergnügen.«
    »Da tun Sie gut daran«, sagte Straka und gab seinem alten Bekannten Feuer. »Aber man kann sich so was nicht aussuchen. Beim Rauchen gibt es keinen freien Willen. Ob man gerade raucht oder nicht raucht oder beinahe nicht raucht, ergibt sich aus … sozusagen aus der Landschaft. In der Wüste kann man nicht ertrinken. Mitten im Meer schon eher.«
    »Man kann aber auch ein Fisch werden«, sagte Cheng und sog den Rauch ein, als versuche er, ein Gedicht von W. H. Auden zu schlucken. Ein ziemlich langes Gedicht.
    »Ja schau an!« rief ein eintretender Mann. »Da sitzt einer mit einem Gesicht, das alle Farben spielt und so richtig schön tot ist, während die Lebenden auf Teufel komm raus herumphilosophieren. Aber das dürfen die Lebenden halt, dürfen rauchen und Unsinn reden.«
    Es war Dr. Hantschk, auch er ein alter Bekannter Chengs. Als Gerichtsmediziner gehörte es zwar nicht zu seinen Aufgaben, Tatorte aufzusuchen, doch Straka hatte es einfach passend gefunden, angesichts dieser improvisierten »Cheng-Party« den zuständigen Polizeiarzt im Bett zu lassen und den guten, alten Hantschk anzurufen. Welcher sich auch gebührend freute, Cheng wiederzusehen. Die Männer reichten sich die Hände.
    »Alle Achtung«, meinte der Arzt, »Sie sehen großartig aus, alter Junge.«
    »Ein Zwischenhoch«, kommentierte Cheng amüsiert.
    »Auch noch Tiefstapler geworden«, meinte der Mediziner.
    Man unterhielt sich noch eine ganze Weile in diesem geselligen Plauderton, sprach ein wenig über Stuttgart und Kopenhagen, über ein paar Leute von früher und kam dann auch irgendwie auf Chengs Hund, auf Lauscher zu sprechen.
    »Ich dachte, Ihr Hunderl sei tot«, sagte Hantschk.
    Auch Straka zeigte sich erstaunt, da er ebenfalls vom Ableben Lauschers gehört hatte. Und zwar kurz bevor Cheng – ohne sich von irgend jemand verabschiedet zu haben – nach Stuttgart gezogen war und somit ein jeder auf Gehörtes und Vermutetes angewiesen gewesen war. Ja, nicht wenige hatten angenommen, daß gerade der Tod Lauschers für Cheng der Auslöser gewesen war, Wien endgültig den Rücken zu kehren.
    Es erwies sich nun, daß Lauschers angeblicher Tod weite Kreise gezogen hatte, daß sogar eine Grabstelle in unmittelbarer Nähe des Asperner Friedhofs als seine Ruhestätte galt. Ein kleines Holzkreuz im Schatten eines Fliederbusches. Straka hatte es gesehen. Wobei das Kreuz unbeschriftet war und also auch einem ganz anderen Tier gewidmet sein konnte.
    Nun, mußte. Denn Lauscher war ja am Leben. Schwach auf den Beinen zwar, gehunwillig. Aber wann war er das nicht gewesen? Wahrscheinlich hatte er mit dieser Gehunwilligkeit, dieser Aversion gegen das »Vertauschen der Straßenseite« das Licht der Welt erblickt. Nach Lauschers Auffassung mußte ein guter Grund dafür bestehen, in einer bestimmten Straße und also auf einer bestimmten Straßenseite geboren worden zu sein. Das Überqueren dieser Straße besaß für Lauscher dieselbe Absurdität wie das Besteigen von Bergen, an deren Spitze es nicht weiterging.
    »Schön jedenfalls«, meinte Dr. Hantschk, »daß Ihr Viecherl noch lebt. Obwohl ich selbst ihn ja nie gesehen hab, den Hasen. Ein bissel ein Mythos, was?«
    »Der Mythos lebt«, tönte Cheng.
    »Ist Lauscher in Kopenhagen?« fragte Straka.
    »Nein hier. In der Wohnung von einem Freund. Liegt vor dem Ofen. Im Grunde transportiere ich ihn von einem Ofen zum nächsten.«
    »Ich frage mich nur«, meinte Straka, »wer das Gerücht vom Tod Ihres Hundes in die Welt gesetzt hat.«
    »Ein Gerücht«, erklärte Cheng, »gebiert sich selbst. Zumindest wenn es angetan ist, etwas zu erklären. Lauschers angeblicher Tod hat etwas erklärt. Warum ich von Wien wegging.«
    »Und warum sind Sie wirklich fort?«
    »Sehen Sie mich an. Ich wollte gesund werden.«
    »Das erinnert mich, warum wir hier sind«, meinte Straka gequält und sah hinüber zu dem vernachlässigten kleinen Gott.
    »Ach ja, das Opfer«, bemerkte Dr. Hantschk. Und sich an Cheng wendend: »Ihr Kunde?«
    »Nein. Diesmal nicht. Allerdings hat der Tote für denselben Auftraggeber gearbeitet wie ich.«
    Dr. Hantschk besah sich die Leiche, wobei er

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