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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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einmal gewesen war.
    »In Kindertagen also«, dachte sich Cheng. Was er dann aber sagte, war, daß er selbst sich in Kopenhagen kaum auskenne. Wobei dies für die Arbeit eines Detektivs auch nicht erforderlich sei. Die Routine eines Stadtführers oder Buslenkers wäre nur hinderlich. Ein Detektiv müsse sich treiben lassen.
    »Wenn man denn soviel Zeit hat«, sagte Frau Straka, erhob sich und schenkte den beiden Männern ein Lächeln, wie es nur jene Menschen besitzen, die trotz ihres Gehetztseins mit größter Wahrscheinlichkeit noch weit mehr als die Hälfte des Lebens vor sich haben. Das Lächeln der Jugend besitzt gewissermaßen den Raum, sich zu strecken. Während das Lächeln der Älteren stets gegen eins von diesen heranrückenden Schleusentoren prallt. Wie großartig und vital man sich auch fühlen mag. Wobei weder Straka noch Cheng – perfekter Anzug hin oder her – sich großartig und vital fühlten.
    Nachdem die neue Frau des Oberstleutnants gegangen war, ergab sich eine kleine Pause zwischen den beiden Männern. Ein jeder dachte nach. Nicht über das Essen. Dennoch standen am Ende dieser Pause die Mahlzeiten auf dem Tisch. Fisch für Straka. Salat für Cheng.
    »Ich hatte keine Ahnung«, sagte Cheng.
    »Ja. Ich habe mich vor einem Jahr scheiden lassen. Sie werden jetzt wahrscheinlich denken …«
    »Also bitte, Sie sind mir keine Rechenschaft schuldig.«
    »Natürlich nicht«, sagte Straka. »Aber ich erkläre es gerne. Ihnen ganz besonders. Ich weiß ja ganz gut, wie alt ich bin und wie jung diese Frau. Und daß die meisten Leute sich denken, hat der alte Depp das nötig. Ja, sage ich, das hat er. Aber die Gründe sind andere, als man vermuten mag. Ich glaube sogar, daß das meistens der Fall ist, wenn ältere Männer ihre älteren Frauen verlassen und sich eine Junge nehmen. Das hat gar nicht so sehr mit Eitelkeit und zweitem Frühling zu tun, sondern einfach mit Rache. Man rächt sich an der blöden, alten Funzen, mit der man ein halbes Leben verbracht hat. Man nimmt sich eine junge Frau, nicht, weil man das für richtig und geeignet hält, schon gar nicht, weil man ernsthaft an das Glück einer solchen Beziehung glaubt, sondern in erster Linie, um jene Person zu ärgern, die man so viele Jahre hat aushalten müssen. Alte Frauen hassen junge Frauen. Darum wählt sich ein Mann eine Junge, wenn er denn wählen kann. So einfach ist das.«
    »Na, es ist doch auch ganz nett, in ein glattes Gesicht zu sehen, eine glatte Haut anzufassen.«
    »Keineswegs. Auf diese Weise wird man nur an die eigene Dürftigkeit erinnert. Wenn ich Nina berühre, fällt mir ein, wo ich stehe. Am Ende. Das ist kein gutes Gefühl. Aber ich nehme es gerne in Kauf dafür, mir den grenzenlosen Ärger meiner ersten Frau vorstellen zu dürfen.«
    »Meine Güte. Sie muß ein Monster gewesen sein. Wie heißt sie doch gleich?«
    »Luise. Und sie ist ein Monster. Allerdings kann sie mir nichts mehr anhaben. So eine Scheidung ist eine gute Einrichtung. Jedenfalls besser, als jemand umzubringen und dafür im Gefängnis zu landen. Was die einzige Alternative gewesen wäre.«
    »Ich kann mich erinnern, Ihre Frau zwei- oder dreimal gesehen zu haben. Ich hatte eigentlich nicht den Eindruck …«
    »Natürlich nicht. Das hat die Sache ja so unerträglich gemacht. Daß ein Mensch sich nach außen hin freundlich gibt, scheißfreundlich. Verträglich wie selten jemand. Kaum aber ist man wieder in den eigenen vier Wänden und kein Fremder sieht einem zu, verfällt dieselbe Person in einen perfekten Wahnsinn. Einen gewollten Wahnsinn. Übt nur noch Terror aus.
    Fragen Sie meine Tochter. Sie hat das erlebt. Sie hat erlebt, wie Luise vor der Welt die engagierte Mutter markierte, in Wirklichkeit aber absolut nichts anderes getan hat, als ihrer Trägheit zu frönen, ihren Launen und ihrem absoluten Terrorbedürfnis.
    Bei jeder Elternveranstaltung war sie zugegen, überall hat sie über die tiefe Befriedigung gesprochen, neben ihrer Tätigkeit als Kinderbuchautorin eine ganz normale Hausfrau und Mutter zu sein. Was für ein Schwindel! Zu Hause nämlich … nichts.
    Ich schwöre Ihnen, die gute Luise hat in dreißig Jahren kein einziges Mal den Küchenherd berührt. Und weil sie nichts gekocht hat, brauchte sie auch nicht abzuwaschen. Das entsprach nämlich ihrer Logik, daß die Verpflichtung, eine Arbeit zu erledigen, nur daraus resultiere, sich zuvor auf eine andere Arbeit eingelassen zu haben. Wer nicht kocht, braucht nicht zu spülen. Wer keine Kleider

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