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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Gebäude, das seit seinem Weggang aus Wien frisch hinzugekommen war. Er empfand all diese Objekte als einen Angriff auf seine Erinnerung. So wie es alten Menschen ergeht, die bei der Rückkehr an einen Ort selbst das Häßliche, wenn es denn verschwunden ist, vermissen. Oft sogar ist es genau dieses Häßliche, dessen Absenz man besonders stark empfindet. Vergleichbar dem Verlust eines Feindes. Niemand will seine Feinde verlieren. Der irische Katholik und der irische Protestant wären einer ohne den anderen, ohne ihre Feindschaft, nicht nur undenkbar, sondern auch unglücklich. Unglücklich, weil nur halb. Niemand möchte nur halb sein.
    »Hauptbücherei also«, sagte Cheng. »Soll ja ein riesiger Kasten sein, den man da gebaut hat.«
    »Ganz nett«, meinte Dalgard.
    »Sie waren schon dort?« fragte Cheng erstaunt.
    Dalgard antwortete nicht.
    »Was ist«, ersetzte Cheng seine Frage durch eine andere, »wenn Sie tatsächlich herausbekommen, daß Frau Gude Herrn Gude hat umbringen lassen?«
    »Dann kennen wir uns aus. Und dürfen aufatmen. Immerhin ist Frau Gude kein politisch verwirrter Hasardeur und auch kein hirnkranker Doppelagent. Niemand, von dem wir fürchten müssen, ein norwegisches oder dänisches Parlament stürmen oder eine Busstation in die Luft jagen zu wollen. Ich sagte es Ihnen gleich zu Anfang: Wir wollen wissen, was los ist. Und wenn nun nichts Schlimmeres dahintersteckt, als ein nichtiger Gattenmord durch dritte Hand, nun, dann werden wir das Ganze zu den Akten legen und erst wieder auskramen, wenn Frau Gude von sich aus einen guten Grund dafür liefert.«
    »Welcher wäre?«
    »Keine Ahnung. Die Dame ist Teil der Gesellschaft … Meine Güte, was erzähle ich Ihnen, Sie werden doch auch wissen, daß niemand damit geholfen ist, Frau Gude ins Gefängnis zu bringen. Man sie aber in der Hand hätte, falls das irgendwann nötig sein sollte.«
    »Und Frau Gemini?«
    »Wenn alles so ist, wie Sie sagen, Cheng, interessiert uns Frau Gemini nicht weiter. Sollen doch die Österreicher sich darum kümmern. Zunächst aber möchte ich, gleich wie Sie das anstellen, daß diese Dame auf dem Empfang erscheint. Ich schicke Ihnen zwei Einladungen und lasse Sie auf die Liste setzen.«
    »In welcher Funktion?«
    »In keiner Funktion. Sie kommen als Herr Cheng und Frau Gemini. Das genügt vollauf.«
    »Und dann?«
    »Wir werden sehen.«
    »Hört sich an, als wollten Sie mir verheimlichen, was Sie vorhaben. Ich sagte Ihnen doch schon, daß ich auf Überraschungen verzichten kann.«
    »Ich verspreche Ihnen«, sagte Dalgard, »daß Sie Ihren rechten Arm behalten.«
    »Und wenn nicht? Was dann? Bekommen ich dann Ihren?«
    »Ja! Abgemacht!« sagte Dalgard, als meinte er das ernst. Dann fragte er: »Wo ist eigentlich Ihr Hund?«
    »Was denken Sie denn?« empörte sich Cheng. »Daß ich den alten Herrn hier heraufschleppe, damit er sich eine Blasenentzündung und Lungenentzündung und gleich den Tod holt.«
    »Mir schien, das Tier sei robust.«
    Robust? Was für ein unpassendes Wort, dachte Cheng. Genauso unpassend, als hätte man gesagt, Lauscher sei nicht robust. Ein Wesen wie Lauscher war nicht auf der Welt, um robust oder nicht robust zu sein, also das Leben auszuhalten oder nicht auszuhalten.
    Er war auf der Welt … Cheng überlegte. Nun, in einer anderen als der üblichen Weise war Lauscher auf der Welt, weil er, Cheng, ohne Lauscher nicht hätte existieren können. Ohne Lauscher kein Cheng. Lauscher war gewissermaßen der Boden, auf dem sich Cheng bewegte.
     
    »Ich gehe jetzt«, sagte Cheng und hob den Kopf wieder ein wenig aus seiner Mantelkragenkrause.
    »Wo kann ich Ihnen die Einladungen hinschicken?« fragte Dalgard.
    »In den Adlerhof .«
    »Was soll das sein?«
    »Smoleks Stammwirtshaus, wie Sie eigentlich wissen müßten«, sagte Cheng und nannte die Adresse. »Hinterlegen Sie die Karten beim Wirten, einem gewissen Herrn Stefan. Heute abend. Ich gebe dort Bescheid und hole sie mir morgen ab.«
    »Wohnen Sie bei dem Mann?«
    »Muß Sie das interessieren?«
    »Nein, muß es nicht«, sagte Dalgard.
    Cheng glaubte ihm nicht. Cheng war überzeugt, daß Dalgard sich entschlossen hatte, ein eigenes kleines Kunststück auf die Bühne zu zaubern. Das taten diese Regierungsleute schlußendlich immer, das entsprach ihrer Natur. Sie waren alle verhinderte Zauberer und verhinderte Bühnenkünstler und verhinderte Filmschauspieler. Sie neigten zur Psychose und zur Eskapade, so kühl sie sich vielleicht auch gaben.
    Cheng

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