Ein dickes Fell
aller Sympathie für einige Herren dort. Und noch was: Ich bin nicht hundertprozentig sicher, ob Frau Gemini wirklich Einar Gude umgebracht hat. Es bleibt da ein Rest an Zweifel. Winzig, aber immerhin ein Rest.«
»Würde man immer auf den Rest schauen«, sagte Dalgard, »käme die Welt nicht weiter. Ich stelle also fest, daß Anna Gemini Einar Gude getötet hat. Das ist das, wofür man diese Frau bezahlt. Wer aber hat sie bezahlt?«
»Keine Ahnung.«
»Was ist mit Frau Gude?«
Cheng klassifizierte den Umstand, daß die Frau des Botschafters Anna Gemini geholfen hatte, unkontrolliert das Museum zu verlassen, für so schwer zu bewerten wie eh und je.
»Es nützt nichts«, sagte Dalgard, »wir müssen Magda Gude und diese Frau Gemini zusammenbringen. Sie miteinander konfrontieren.«
»Wie soll das geschehen?«
»Magda Gude ist heute nach Wien gekommen, um am Abend an einem Festakt teilzunehmen. Einem Festakt, den sie selbst verschuldet hat.«
»Wie das?«
»Eine harmlose Sache. Es gibt da einen Menschen in Bergen, der ein paar Handschriften von Ludwig Wittgenstein besitzt. Briefe wohl. Jetzt ist dieser Mensch gestorben, und Magda Gude hat seine Erben überreden können, anstatt das Zeug auf den Markt zu werfen, einen Haufen Geld zu machen und dabei unglücklich zu werden, es der Stadt Wien zu schenken.«
»Nett von Frau Gude, sich um so was zu kümmern. Ist das ihr Fachgebiet?«
»Nicht wirklich. Sie kommt von der Medizin, war Ärztin. Aber darum geht es nicht. Frau Gude ist die Vorsitzende der Norwegischen Literaturgesellschaft, das ist eine Clique von irgendwelchen … Fragen Sie mich nicht, was für Leute das sind. Verrückte jedenfalls, die so tun, als besäßen sie eine flatternde Buchseite, dort, wo andere ihre Herzklappe haben. Daß diese Verrückten freilich Frau Gude zu ihrer Präsidentin gewählt haben, war eine kluge Entscheidung. Die Dame ist geschickt, wenn es ans Eingemachte geht. Und es war ja auch höchst geschickt, diese Wittgensteinbriefe an die Wiener zu vermitteln. Die nun natürlich auch was tun müssen, die Wiener. Und sich also entschlossen haben, einige Autographen von Knut Hamsun, die hier irgendwo herumliegen, dem norwegischen Staat zu vermachen. Wittgenstein nach Wien, Hamsun nach Oslo, so daß alles wieder seine Ordnung hat. Und dazwischen, zwischen Wittgenstein und Hamsun und zwischen Wien und Oslo, steht also unsere Frau Gude, übergibt das eine und übernimmt das andere. Und wird bei alldem eine ausgezeichnete Figur machen.«
»Man sollte denken«, meinte Cheng, »daß Frau Gude von Wien die Nase voll hat. Zumindest so tut als ob. Immerhin ist ihr Mann hier umgebracht worden.«
»Sie ist hart im Nehmen, bekanntermaßen. Sie hat den Tod ihres Gatten gut überwunden, ohne sich allerdings auffällig zu verhalten. Keine traurige Witwe, keine lustige Witwe, überhaupt keine Witwe. Eine Frau, die beschäftigt ist. Und sich nicht davon abhalten läßt, nach Wien zu kommen, bloß weil ihr Mann hier sein Leben zu Ende geschnauft hat.«
»Könnte da eine Verbindung bestehen? Ich meine zwischen dem Tod Gudes und dieser komischen Wittgenstein-Hamsun-Transaktion.«
»Sehr unwahrscheinlich. Wobei es Leute gibt, die behaupten, daß Magda Gude und ihre Freunde von der Literaturgesellschaft seit langem auf diese Hamsun-Papiere spitz gewesen seien und man den Tausch nicht wirklich als freiwillig bezeichnen kann, sondern eher als … provoziert. Doch mit der Erschießung des Botschafters scheint das nichts zu tun zu haben. Nein, ich halte es für einen Zufall. Einen Zufall, der uns jetzt immerhin die Möglichkeit verschafft, Frau Gude und Anna Gemini zusammenzuführen. Ich schlage also vor, Cheng, Sie lassen sich von Frau Gemini auf diesen Empfang begleiten.«
»Bitte? Wie soll ich das anstellen? Ich kann Frau Gemini nicht zwingen.«
»Man kann jeden Menschen zwingen. Aber das ist natürlich Ihre Sache, wie Sie dabei vorgehen wollen. Wichtig ist nur, daß die beiden Frauen sich begegnen.«
»Was hoffen Sie eigentlich, sollte geschehen? Daß die zwei sich in die Arme fallen? Oder sich zuwinken und zuzwinkern und weiß Gott was tun?«
»Lassen Sie das unsere Sache sein. Bringen Sie Frau Gemini dorthin, das genügt.«
»Wo ist das, dorthin ?« fragte Cheng.
»Die neue Stadtbücherei. Kennen Sie doch wohl?«
»Zu neu für mich. Ist ja gerade erst eröffnet worden«, sagte Cheng schwermütig. Obgleich er in Fragen der Architektur nicht eigentlich rückständig dachte, bekümmerte ihn jedes
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