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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Vornamen kannte, deren hübsches, mediterranes Gesicht dafür umso klarer in seiner privaten Porträtgalerie aufschien, hatte ihn ja ausdrücklich eingeladen, einmal zum Essen vorbeizusehen. Jederzeit, ohne sich großartig anmelden zu müssen.
    Nun, das stimmte so nicht. Die Erinnerung täuschte Cheng. Aber sie täuschte ihn aus gutem Grund und mit gutem Recht.
    Cheng blickte auf die Uhr, dann hinunter zu Lauscher, der noch immer tief in einem traumlosen Schlaf einsaß, wandte sich schließlich zur Theke hin und rief nach Herrn Stefan. Der gastronomische Altmeister erschien rascher als gewöhnlich und stellte sich vor Cheng hin, die Hände auf den Tisch seines Gastes gestützt. Dabei blickte er Cheng an, als wollte er sagen, daß die Vertrautheit zwischen ihnen eine ihm unerwünschte sei. Unerwünscht, aber unvermeidbar. »Was kann ich tun?«
    »Ich müßte ein, zwei Stunden weg. Möchte aber, daß der Hund hierbleibt. Es wäre unrichtig, ihn jetzt zu wecken und in die Kälte hinauszutreiben.«
    »Sie wollen ihn einfach liegenlassen?«
    »Ich möchte, daß Sie auf ihn achtgeben.«
    »Was fürchten Sie? Daß man ihn stiehlt? Es ist ja kaum zu erkennen, daß das ein Hund sein soll, so wie er da liegt … Allerdings, was ist, wenn er … na, wenn er da in seine Windelhose ein großes Ding hineinkackt?«
    »Das kommt selten vor«, versprach Cheng. »Außerdem stinkt Lauscher nicht. Sein Kot nicht, sein Fell nicht. Dieser Hund kann noch so verschmutzt und feucht sein, er stinkt nicht. Er hat nie einen Geruch besessen.«
    »Gibt es so was?« fragte Herr Stefan, nahm seine Hände vom Tisch und verschränkte seine Arme in der Art einer an die Brust genagelten Wiege.
    »Ich habe es lange Zeit nicht bemerkt«, gestand Cheng, »denn merkwürdigerweise fällt es eher auf, wenn etwas stinkt, als wenn etwas nicht stinkt. Obwohl doch eigentlich das Nichtstinken ein Rätsel darstellt. Und damit eine Bedrohung.«
    »Ist dieser Hund denn eine Bedrohung?«
    »Keine Sorge. Er stinkt nicht nur nicht, sondern bellt auch nicht und beißt auch nicht.«
    »Was tut er dann?«
    »Sie sehen es. Er schläft. Und wird damit nicht aufhören, bis ich wieder zurück bin.«
    »Also gut«, sagte der Wirt mit einem winzigen Kopfschütteln, »gehen Sie halt.«
    »Eine Frage noch, Herr Stefan. Wie gut kannten Sie Smolek?«
    »Er war ein Gast, ein ordentlicher Gast. Mehr kann ich nicht sagen.«
    »Sie waren also nicht befreundet.«
    Herr Stefan vollzog ein Gesicht der Verwunderung, als sei die Freundschaft zu einem Gast, auch die zu einem Stammgast, etwas Widernatürliches. Abartig. So abartig, daß sich eine Antwort verbat. Herr Stefan wandte sich jemand anders zu, einem Menschen, der keine dummen Fragen stellte, sondern eine Bestellung aufgab. Spinatstrudel. Ein Gedicht, wie man so sagt. Ein Strudelgedicht.
    Auch Cheng hätte durchaus Lust auf ein solches Gedicht gehabt. Aber er hatte sich nun mal entschlossen, lästig zu sein, kramte den Zettel mit Rubinsteins Telefonnummer aus seiner Geldbörse, trat an den alten Apparat, der in einer dunklen Ecke zwischen Gastraum und Küche die Existenz von etwas Verhextem führte, und wählte die Nummer.
    Versteht sich, daß die kleine Lena abhob. Allein wie sie »Hallo!« sagte, war eine Zumutung für jeden Anrufer.
    »Könnte ich deine Mutter sprechen?«
    »Wer ist denn dran?«
    »Deine Mutter!« verlangte Cheng nochmals.
    »Sie sind nicht meine Mutter, das weiß ich.«
    »Kluges Kind.«
    »Sie sind dieser Mann, der einmal hier gewohnt hat, habe ich recht?«
    »Der bin ich.«
    Cheng vernahm, wie Lena nach ihrer Mutter rief und dabei meinte, der verkrüppelte Chinese wollte sie sprechen.
    »Wirst du sofort …!« Man konnte direkt hören, wie Rubinstein rot anlief. Sodann sprach sie zu Cheng: »Ich bitte Sie vielmals um Verzeihung, meine Tochter …«
    »Wie Sie letztes Mal schon sagten«, erinnerte Cheng, »die Pubertät kommt immer früher. Das muß man aushalten.«
    »Sie sind der Kleinen also nicht böse.«
    »Natürlich nicht«, log Cheng und erwähnte nun, sich gerade in der Nähe aufzuhalten. »Wenn es Ihnen recht wäre, könnte ich auf einen Sprung …«
    »Wunderbar«, sagte Frau Rubinstein. »Lena muß jetzt ins Bett, und wir könnten uns eine Flasche Wein aufmachen. Wenn Sie Wein mögen?«
    »Ich verstehe mich gut mit Wein«, sagte Cheng und dachte: Sehr viel besser als mit Kindern.
    »Schön. Dann kommen Sie jetzt also?«
    »Ich komme«, sagte Cheng, verabschiedete sich und legte auf.
    Er kehrte noch

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