Ein dickes Fell
und setzte sich auf den Beifahrersitz, so rasch, daß der Fahrer also erst nach seinem Fahrgast in den Wagen stieg. Bevor er sich aber auch darüber erregen konnte, bat ihn Cheng um sein Handy.
»Sind Sie übergeschnappt, oder was?« meinte der Fahrer.
»Ich bezahle das, keine Sorge. Ich muß mit der Polizei reden.«
»Die kann ich über Funk erreichen.«
»Dafür ist keine Zeit. Geben Sie endlich her.«
Der Taxifahrer hätte sich gerne gewehrt. Zunächst einmal prinzipiell. Zudem aber auch, weil er Chinesen nicht ausstehen konnte. Japaner auch nicht, das ist klar. Aber im Angesicht eines Chinesen kam ihm vor, nicht ein Taxi, sondern eine Rikscha zu betreiben, jemand ziehen zu müssen, der nichts unternahm, sich leichter zu machen. Im Gegenteil, in einer Weise herumlümmelte, wie dies Großwesire in Bilderbüchern zu tun pflegen.
Andererseits war natürlich auch dem Taxifahrer rasch aufgegangen, es mit einem gebürtigen Wiener zu tun zu haben, wie er selbst einer war. Zudem mit einem Mann, der wußte, was er wollte. Nämlich ein Handy. Und zwar augenblicklich.
»Sie bezahlen das!« forderte der Fahrer.
»Verrechnen Sie, was Sie wollen«, sagte Cheng und griff nach dem Telefon, das der Fahrer eher weghielt als hinhielt.
Cheng packte es wie einen ausbrechenden Kanarienvogel und wählte Strakas Nummer. Gleichzeitig wies er den Fahrer an, die Wotrubakirche anzusteuern. Eine Destination, die weit genug entfernt lag, um den Taxler ein wenig mit der Situation zu versöhnen.
»Hallo Straka«, sprach Cheng in das Handy, »ich habe was für Sie. Smolek! Er ist putzmunter. Also zumindest ist er in der Lage zu atmen und Katzen zu streicheln und sich darüber zu wundern, daß niemand aufgefallen ist, wie wenig seine Blutgruppe mit jener der Leiche zusammenpaßt, die wir in seinem Zimmer fanden.«
»Peinlich!« kommentierte Straka. Und fragte: »Wer ist dann der Tote?«
»Keine Ahnung«, sagte Cheng. »Ein Mann, der für Smolek gearbeitet hat. So eine Art Verkleidungskünstler. Was weiß ich? Was jetzt aber wichtig wäre, ist, sich Smolek zu schnappen.«
»Soll das heißen, Sie sind nicht bei ihm?«
»Ich habe einen Termin, wie Sie wissen. Und ich bin nicht die Polizei. Ich lege keine Handschellen an. Sie finden Smolek in der Lerchenfelder Straße. Ich muß Ihnen ja nicht sagen, in welchem Haus. Man könnte meinen, ein magischer Ort. Jedenfalls hockt Smolek im Keller mit den drei Kremserkatzen. Wie es aussieht, war er es, der Thanhouser und Seeliger abserviert hat.«
Cheng vernahm vom anderen Ende der Leitung, wie Straka Anweisung gab, sofort Leute in die Lerchenfelder Straße zu schicken und so rasch wie umsichtig vorzugehen. Und sich nicht von der Harmlosigkeit des Anblicks täuschen zu lassen, den ein Mann und drei Katzen möglicherweise boten.
Sodann wandte sich der Oberstleutnant wieder an seinen Gesprächspartner: »Sie hätten bei Smolek bleiben müssen.«
»Ich hätte in Kopenhagen bleiben müssen«, sagte Cheng und legte auf. Auch Straka konnte ihm mitunter auf die Nerven gehen.
VIII Die Gude-Story
Aber vergessen wir eines nicht: wenn ›ich meinen Arm hebe‹, hebt sich mein Arm. Und das Problem entsteht: was ist das, was übrigbleibt, wenn ich von der Tatsache, daß ich meinen Arm hebe, die abziehe, daß mein Arm sich hebt?
PHILOSOPHISCHE UNTERSUCHUNGEN, LUDWIG WITTGENSTEIN
35 3902
Was unterscheidet Kriminalromane von der Wirklichkeit? Nun, einmal abgesehen von einer zuweilen blumigen Autorensprache und der Abgehobenheit mancher Romanfigur, besteht der wesentliche Unterschied darin, daß im Kriminalroman das Verbrechen notwendigerweise thematisiert wird. Man spricht darüber, deckt es auf, löst den Fall. Und löst man ihn nicht, hat man dennoch zwei-, dreihundert Seiten diesem Verbrechen und seiner Unauflösbarkeit gewidmet.
Verbrechen hingegen, die in der Wirklichkeit geschehen, zeichnen sich fast immer durch ihre Unsichtbarkeit aus. Ihre Namenlosigkeit. Sie scheinen nicht zu existieren. Kein Detektiv, kein Polizist, kein Jurist, kein braver kleiner Held kümmert sich darum. Wie denn auch, wenn ein Zeichen fehlt? Natürlich, es gibt auch in der Wirklichkeit Verbrechen, die erkannt, die benannt und geahndet werden. Aber ihre Anzahl würde einem verschwindend erscheinen, wüßte man um die Übermacht unsichtbarer Delikte. Wüßte man um das viele, das sich hinter Häusermauern und in Garagen, an Mittagstischen, in Kinder- und Ehebetten, in Bädern und Kammern, in Hobbyräumen und
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