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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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dem Kino. Sie wollte dabei sein, zumindest in der Nähe, wenn Janota stirbt.«
    »Wieso das denn?« fragte Cheng.
    »Mein Gott, sie bestand darauf, wie man darauf besteht, daß zu Weihnachten alle zusammenkommen. Und bat mich also, ebenfalls zu erscheinen. Nun, ich war spät dran. Immerhin hatte mich gerade die Ermordung eines Menschen mittels 4711 aufgehalten. Ich steige also zu ihr in den Wagen, und als wir da sitzen und durch die Scheiben ins Foyer schauen, meine ich Carl zu sehen. Zusammen mit so einem riesigen Weib.«
    »Frau Dr. Sternberg.«
    »Wenn sie so heißt? Jedenfalls war ich irritiert.«
    »Weshalb?« fragte Cheng. »Das kam doch schon mal vor, daß Anna Gemini ihren Sohn bei einer Fremden ließ, um in Ruhe einen Auftrag auszuführen. Magda Gude. Sie erinnern sich ja wohl.«
    »Ja, natürlich. Aber etwas paßte nicht. Und ich hatte ja auch recht, wenn ich mir dachte, daß etwas nicht paßt. Ich wollte mich überzeugen, bin hinein ins Kino. Und da stand also Carl mit diesem Fellini-Weib. Ich wußte dann auch gleich, was mich so verunsichert hatte. Diese Frau war ganz und gar nicht der Typ, welchen Gemini für ihren Carl ausgewählt haben würde.«
    »Magda Gude ist auch kein Zwerg.«
    »Aber ebensowenig ein Riese. Keine unförmige Masse mit Brille. Nein, ich war mir sicher, daß hier etwas faul war. Und gehe also zu der Frau hin, sage Servus zu Carl, und da erklärt mir die Riesin doch tatsächlich, Carls chinesischer Adoptivvater habe sie gebeten, eine Weile auf den Jungen achtzugeben. – Adoptivvater!? Etwas Dümmeres, Cheng, konnte Ihnen nicht einfallen?«
    »Kein Grund«, sagte Cheng, »Frau Dr. Sternberg eine Waffe in den Bauch zu drücken.«
    »Ich wollte den Jungen nach draußen bringen«, rechtfertigte sich Smolek. »So schnell wie möglich. Das Fellini-Weib hat sich aber geweigert, hat auf ihrer Aufsichtspflicht bestanden. Der blöde Trampel. Germanistin wahrscheinlich. Jedenfalls mußte ich eine Waffe ins Spiel bringen. Bei manchen Menschen ist das schlichtweg das einzige Argument, welches überzeugt.«
    »Frau Sternberg hat behauptet, vor dem Kino hätte ein Wagen mit Chauffeur gewartet.«
    »Kein Chauffeur«, korrigierte Smolek, »sondern Lilith. Sie saß ja noch im Wagen.«
    »Was wollten Sie mit dem Jungen überhaupt?«
    »Ihn in Sicherheit bringen. Was sonst? Ich konnte nicht wissen, was geschehen war, was mit Gemini und Janota und mit Ihnen los war, und was Carl in der Obhut einer Frau zu suchen hatte, die mitnichten Anna Geminis Wahl bedeuten konnte.«
    »War das so schlimm?«
    »Wenn man sich nicht auskennt, ist es immer schlimm. Wir sind dann also mit dem Jungen fort und eine Weile herumgefahren, haben die Sache besprochen. Carl hat vor sich her gequasselt, schien ganz fröhlich. Und dann kam mir die Idee, ihn zu seiner Freundin zu bringen, dieser klingonischen Amseldompteuse. Anna hatte mir von ihr erzählt. Allerdings mußten wir sie erst finden. Prächtiges Mädchen, trotz Piercing.«
    »Sie sprachen mit ihr, oder?«
    »Ja. Kurz. Hat vernünftige Ansichten, das Kind. Schöne Wortwahl. Gewitzt und erwachsen. Jedenfalls ist sie genau die richtige für Carl, eine Freundin statt der Mutter.«
    »Eine gute Tat also«, kommentierte Cheng.
    »Und wie hat man mir diese gute Tat gelohnt? Als Lilith vor meinem Haus hält, sehe ich die Festbeleuchtung hinter den Fenstern meines Arbeitszimmers. Können Sie sich den Schrecken denken? Und dann marschieren auch noch die Herren Polizisten an. Mir war klar, daß ich jetzt schwerlich würde nach oben gehen können, um wie geplant die Leiche meines Stellvertreters aus dem Zimmer zu schaffen.«
    Als müßte er sich für etwas entschuldigen, erklärte Cheng: »Gemini war absolut überzeugt, Sie hätten Carl entführt.«
    »Und? Hatte ich? Nein!« rief Smolek aus, machte sodann ein verdrießliches Gesicht und meinte: »Anna Gemini war mal eine gute Killerin. Aber bezüglich ihres Kindes ist sie eine Psychopathin. Krank und unberechenbar. Und jetzt ist sie nicht einmal mehr eine gute Killerin. Rennt mit diesem Janota durch die Gegend wie mit einem Spielzeug. Ist das noch normal?«
    Cheng überlegte, daß hier ein jeder einen anderen im Verdacht hatte, verrückt zu sein. Aber das war wahrscheinlich immer so, in jeder Geschichte, in jeder Gesellschaft. Darin bestand der eigentliche Solipsismus heutzutage, daß jeder dachte, der einzige Normale unter lauter Irren zu sein.
    Dann fiel Cheng etwas ein: »Als Sie mit Carl vom Gartenbaukino wegfuhren, haben

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