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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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auch ohne Gipsbein konnte ich mich schlecht bewegen. Ich hatte eine Operation hinter mir. Eine Schönheitsoperation, wie ich das nannte, wenn man mich fragte. Jedenfalls war ich ein paar »verdorbene Innereien« losgeworden. Ich fühlte mich in vieler Hinsicht hohl. Aber ich wußte, daß das vorbeigehen würde, und war ziemlich froh, früher als üblich aus dem Krankenhaus entlassen worden zu sein. Auf eigenen Wunsch.
    Ich saß da also in unserer schönen großen Diplomatenwohnung, umgeben von Ramsch aus aller Herren Länder. Volkskunst zwischen hohen Spiegeln. Schwere Tische mit schweren Schalen, in denen selbst das Obst schwer wirkte. Schwer und vergiftet. Obst war noch nie meine Sache. Daß es gesund sein soll, halte ich für einen Schwindel. Diese Früchte sind voll von exotischen Bakterien und unheilvollen Säften. Ich mache um Obst stets einen großen Bogen. Unser Dienstmädchen aber hatte die dumme Angewohnheit, sämtliche Schalen damit zu füllen. Doch was hätte ich tun sollen? Ihr sagen, wie ich über Obst denke?
    Noch schlimmer als Obst sind Fische, Fische in Aquarien. Auch so ein Hobby Einars, welcher große Teile unserer Wohnung mit Aquarien zustellte, Aquarien, in denen kleine, seltsame Fische schwammen, einige davon giftiger als jedes Obst. Nicht, daß ich etwas für sie tat, sie etwa fütterte, diese stummen Dinger. Fünfhundert an der Zahl. Was man sich einmal vorstellen muß. Mit fünfhundert Aliens seine Wohnung teilen, so geräumig die sein mag.
    Obst und Fische und Volkskunstramsch. Ich war gezwungen, in mein Badezimmer zu gehen, wollte ich meine Ruhe von dem Zeug haben. Selbst im Schlafzimmer stand ein Aquarium, ein Riesending, in dem widerliche Schildkröten herumtauchten, mit Köpfen, die wie Mikrophone aus ihren Panzern ragten. Man kann sich vorstellen, wieviel Spaß der Sex macht, wenn einem solche Schildkröten dabei zusehen. Jetzt einmal davon abgesehen, daß Einar zu den Männern zählte, die Sex mit einer Sportart verwechseln, die ihnen zu anstrengend ist. Gewichte stemmen oder zweihundert Kilometer Radfahren. So was eben. Und sich dementsprechend anstellen. Von Anfang an im Zustand der Erschöpfung. Erschöpfung als Versprechen.
     
    Ich ließ einen von den leichteren Tischen gegen ein Fenster schieben, fernab des Obstes, und bemühte mich nun, ein paar Aufsätze zu verfassen. Aufsätze, um die ich gebeten worden war und die abzulehnen, ich nicht wagte. Nicht wegen einer angeblichen Schönheitsoperation.
    Wie gesagt, ein Gefühl umfassender Hohlheit bestimmte meine Verfassung, als ich nun daranging, einen Text über das Schicksal einiger Autographen aus der Hand Knut Hamsuns zu verfassen. Das Konvolut lagerte idiotischerweise in Wien, ohne dort im geringsten wahrgenommen zu werden. Als halte man sich ein Krokodil, von dem nicht einmal das Geschlecht bekannt war.
    Hamsun als Krokodil! Das waren so die Bilder, die mir durch den Kopf schossen. Kein Wunder, daß ich wenig zu Papier brachte, die meiste Zeit vor mich hin träumte, dann immer öfter auf die Straße sah, den Gehweg beobachtend, die Menschen, das gegenüberliegende Haus.
    Gut möglich, daß ich den Mann, der bald meine Gedanken vollständig bestimmen sollte, schon früher wahrgenommen hatte. Aber eben bloß als Schatten, als Schablone oder Kontur. Wahrscheinlich hatte ich anfänglich gedacht, es handle sich um verschiedene Personen, die da immer wieder in dunklen Sportanzügen aus dem Haus gekommen waren, um die leicht ansteigende Straße aufwärts zu joggen. Ich selbst mag diesen Sport so wenig wie ich Obst mag. Dabei bin ich weder fett noch unbeweglich, habe nie in meinem Leben mehr als sechzig Kilo gewogen und besitze genügend lange Beine, um mir schwerzutun, sie unter dem Lenkrad eines kleinen Sportwagens unterzubringen. Aber weshalb laufen? Ich weiß schon, es geht um die Gesundheit. Immer geht es um die Gesundheit. Wie beim Obst, das in Wirklichkeit unsere Körper verseucht.
    Andererseits bin ich nicht blind. Nicht blind dafür, wenn jemand seine Rennerei ausnahmsweise nicht so beginnt, als wäre er ein in Aspik eingelegter kleiner Block von nicht mehr ganz frischem Cornedbeef, welches aus einer Konservendose blubbert. Anders dieser Mann, der so gefaßt wie locker startete, ein wenig schwebend, als habe er eigentlich vor, eine Himmelstreppe hochzusteigen. Jedenfalls fiel er mir nach und nach auf, wenn er da in enger Sportkleidung aus dem weißen, hohen Gebäude einer ehemaligen Klavierfabrik trat, die aufwendig renoviert

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