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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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sagte: »Du … du bist nicht mein Sekretär, sondern … meine Frau. Es könnte eine Menge Gründe geben … viele Gründe, gar keine Zeit für Wien zu haben.«
    »Für Wien vielleicht nicht«, erklärte Magda. »Aber für Dürer muß man sich die Zeit eben nehmen. Hör zu, Darling, ich wollte dich nicht überfahren. Ich wollte bloß verhindern, daß du aus purer Angst vor dieser Stadt eine wunderbare Ausstellung opferst.«
    »Ich habe keine Angst vor Wien«, äußerte Einar im Ton eines beleidigten Kindes.
    »Dann ist es ja gut«, meinte Magda lächelnd. Es gab eine Form des Lächelns, derentwegen man eigentlich ins Gefängnis hätte gehen müssen.
    Das Gedränge in den lichtarmen, fensterlosen Räumen der Dürerausstellung war so enorm, daß man gar nicht anders konnte, als sich weniger um die Kunstwerke zu kümmern, als um die Besucher, mit denen man in einer körperlichen Konkurrenz stand. Vor allem die älteren und wirklich alten Leute, die ja nicht nur über ein eingeschränktes Augenlicht verfügten, sondern auch über eine beträchtliche Schamlosigkeit in der Durchsetzung ihrer Bedürfnisse, ließen die Betrachtung der Bilder zu einem kämpferischen Gerangel entarten. Ein Gerangel, in dem es Botschafter Gude kaum noch aushielt. Er war wütend, daß er trotz seiner gesellschaftlichen Stellung einer solchen Horde von Besuchern, einem kunsthistorisch versierten Bauernvolk ausgeliefert war, obgleich natürlich eine spezielle Führung für ihn und einige andere Gäste organisiert worden war, eine Führung jedoch, die sich im Wirbel der führungslosen Massen aufgelöst hatte.
    Gude stand nun ein wenig verloren in einem halbwegs schwach frequentierten Bereich. Schwach darum, weil von diesem Punkt aus nur schwer eins der umliegenden Bilder studiert werden konnte. Oder was man eben zu sehen bekam, wenn man über die Köpfe der anderen lugte.
    Es reichte ihm. Er wollte nicht länger in der schlechten Luft stehen, inmitten einer Geräuschkulisse aus nachhaltigen Tönen der Entzückung, einer Entzückung, die einer Demonstration glich. Er hatte es satt, daß ununterbrochen einer von diesen blinden Rentnern gegen seine Schulter stieß oder ihm auf die Zehen trat. Zu seiner Wien-Aversion gesellte sich eine Aversion gegen alte Leute, aber auch ganz allgemein gegen Museumsbesucher, gegen Menschen, die genausogut auf Wanderwegen hätten stampfen können, aber eben lieber ein Dach über dem Kopf hatten.
    Gude verließ Dürer. Seine Frau ließ er uninformiert. Sie würden sich schon irgendwo im Haus wieder über den Weg laufen. Er trat aus der Dunkelheit konservatorischer Ängstlichkeit in die massive Helligkeit eines vom Tageslicht erfüllten Treppenhauses und ging hinunter. Die Präsentation großformartiger Baselitz-Graphik quittierte er mit einem kurzen Blick, wie man etwa einen in sich zusammengefallenen Kuchen zur Kenntnis nimmt. Die Kunst, ein schlechtes Bild auf den Kopf zu stellen, hatte ihn noch nie begeistert. Nicht, daß er seine Ablehnung angesichts chronischer Kopfstände je geäußert hätte. Die große Kunst war so heikel wie die große Politik. Und die großen Künstler das wehleidigste Völkchen, das diese Welt je gesehen hatte. Noch im Moment, da diese Malerfürsten und Topavantgardisten eine bedeutende Auszeichnung erhielten, fühlten sie sich vernachlässigt, verfolgt, mißverstanden, ungeliebt, unbezahlt, verdammt und von Gott verlassen. Es verbat sich also gerade einem Diplomaten, eine negative Meinung bezüglich eines zeitgenössischen Kunstwerkes zu vertreten. Es verbat sich eigentlich, etwas Derartiges auch nur zu denken. Aber Gedanken waren nun mal kleine Teufel, elastisch, rasant und rücksichtslos.
    Gude sah nun – und hatte es bisher völlig übersehen –, daß die Albertina nicht nur Dürer und Baselitz ausstellte, sondern auch Fotografien Brassaïs. Die Kunst der Fotografie war Gude sowieso um einiges lieber, zumindest wenn sie, wie im Falle Brassaïs, nicht so tat, als wäre es ihre Aufgabe, Tafelbilder zu ersetzen und in mächtiger Aufgeblasenheit hohe, weiße Räume zu füllen.
    Brassaï aber war in Ordnung. Und noch viel mehr in Ordnung war der Umstand, daß Gude von einer geradezu klösterlichen Ruhe empfangen wurde, als er nun über eine abwärts führende Rolltreppe in den langgestreckten, ebenfalls fensterlosen, in ein Schlechtwettergrau gehüllten Ausstellungsraum gelangte. Dank einer Konstruktion aus Stellwänden ergab sich eine Art primitives Labyrinth, wodurch es unmöglich war,

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