Ein dickes Fell
sondern auch zwei Vermögen zueinanderfanden. Und zwar in idealer Weise. Die beiden Menschen wie die beiden Vermögen vermehrten sich.
Für all das hätte sich Smolek eigentlich bedanken und belohnen lassen müssen. Doch er blieb seiner eisernen Regel treu, indem er nie wieder ein Wort über die Sache verlor, die beteiligten Personen ohne Umstände bezahlte, dem Bruder des toten Bruders ausschließlich im Stadtarchiv begegnete und sich selbst allein die Freude des Gelingens zugestand. Er hatte bei alldem kein einziges Telefonat geführt, keinen einzigen Fingerabdruck hinterlassen, er hatte niemandem gedroht, niemanden betrogen. Die Perfektion seines Dirigats hatte darin bestanden, daß er – obwohl hinter dem Rücken seiner Musiker stehend – von diesen wahrgenommen worden war. Man muß es sagen: Kurt Smolek war sich wie ein kleiner Gott vorgekommen, ein kleiner wohlgemerkt, der eine alte Welt durch eine neue Welt ersetzt hatte, eine schlechtere durch eine bessere, wie unschwer zu erkennen war. Dieses Gefühl, eine göttliche Kontrolle zu besitzen, machte ihn ein wenig süchtig, obwohl er eigentlich das Gegenteil eines suchtabhängigen Menschen darstellte. Aber da bestand nun mal das Bedürfnis nach Wiederholung. Allerdings auch der Wille, sich zu beherrschen, also nicht etwa nach einem neuen Kunden zu suchen oder die eigenen Dienste in halboffizieller Weise anzubieten. Er wartete ab. Er war kein zorniger Gott, er war ein geduldiger. Er wartete zwei Jahre, dann war es soweit.
Jener glücklich verheiratete Förderer des Stadtarchivs, dessen Förderung parallel zu seinem Vermögen angewachsen war, erschien bei Smolek und fragte vorsichtig an, ob er Smoleks Namen einer Dame, einer guten Freundin, nennen dürfe, die sich in einer ähnlich prekären Situation befinde, wie er damals. Eine Dame, die nicht wisse, wie damit umzugehen sei. Es scheine so, als lasse sich ihr Problem kaum noch in gütlicher Weise lösen. Eine Eskalation sei unvermeidlich. Frage sich nur, welche Art von Eskalation. Laut oder leise?
»Sie kennt die Bedingungen?« fragte Smolek.
»Das versteht sich. Eine Frau, wenn ich das sagen darf, die imstande ist, den Mund zu halten.«
»Das kann ich glauben oder nicht.«
»Und wenn Sie mit ihr sprechen, um sich zu überzeugen?«
»Dann ist es zu spät für einen Rückzieher. Ich muß mich hier und jetzt entscheiden.«
Smolek dachte nach. Natürlich hätte er sich über diese Frau in Not genau informieren, ihre Persönlichkeit aus der Ferne studieren können. Das aber wäre seinem »göttlichen Instinkt« zuwidergelaufen, mit dem er seinen ersten Fall so erfolgreich gelöst hatte.
Er schob seine Brille in der bekannten Manier quer über den Nasenrücken und sagte: »Gut. Der Dame soll geholfen werden.«
Die Dame erwies sich als gescheit genug, die Arbeitsprinzipien Smoleks zu begreifen und zu akzeptieren. Sie sagte, was zu sagen war, dann schwieg sie. Smolek verabschiedete sich und trat nie wieder in einen persönlichen Kontakt mit ihr. Dafür aber löste er ihr Problem. Und in den folgenden Jahren noch die Probleme einiger anderer Personen.
Die Leute, die Smolek dazu engagierte, waren nicht immer die gleichen. Manche kamen öfters zum Einsatz, andere nur ein einziges Mal. Was hingegen als durchgehendes Prinzip die ganze Zeit über erhalten blieb, war die Regel, daß die Mordopfer ihre Liquidation selbst zu bezahlen hatten. Eine Lösung, die Smolek sehr schätzte, da sie ihn ästhetisch befriedigte. Ihm allerdings auch den einzigen Wermutstropfen bescherte. Er fand es betrüblich, daß die Opfer zu ihren Lebzeiten nichts von jenem Finanzierungsmodell erfuhren, in das sie selbst so stark eingebunden waren. Darin allein bestand ihre Macht, in dieser glücklichen Unwissenheit. Ein Punkt, der an dem kleinen Gott Smolek nicht unwesentlich nagte.
3 Reiz und Nutzen intakter Schutzbrillen
Anna Gemini und Kurt Smolek lernten sich im August 1999 kennen, genau an dem Tag, an dem der Kernschatten des Mondes sich endlich einmal wieder über jene stark bewohnten Teile Europas legte, wo die Begeisterung für Naturphänomene es eigentlich rechtfertigen würde, weit mehr Mond- und Sonnenfinsternisse stattfinden zu lassen. Aber die Natur ist nun mal ein bockiger, ungerechter Geist, und ihr bockigster, ungerechtester Charakterzug ist sicherlich das Wetter. Kein Wunder also, daß ausgerechnet an diesem besonderen Tag sich über vielen Regionen Europas eine deprimierende Phalanx von Wolken zusammenzog, Wolken, die
Weitere Kostenlose Bücher