Ein diebisches Vergnügen
Crème de la Crème der Weingüter im Médoc schmücken durfte. Sie konnten nicht nur mit der Klassifikation Erste Lage , sondern auch mit erstklassigen Jahrgängen aufwarten. Der 1953er Lafite Rothschild, der 1961er Latour, der 1983er Margaux, der 1982er Figeac, der 1970er Petrus – alle diese Kostbarkeiten wurden in einem Keller unter seinem Haus bei einer gleichbleibenden Temperatur
von 13,3 bis 14,4 Grad Celsius und einem Luftfeuchtigkeitsgehalt von 80 Prozent gelagert. Er pflegte seine Bestände dann und wann abzurunden, wenn eine Kiste dieser Raritäten auf den Markt gelangte, nahm aber selten eine der Flaschen mit nach oben, um sie zu trinken. Sie in seinem Besitz zu wissen reichte ihm aus. Oder hatte ihm zumindest ausgereicht, bis vor Kurzem.
In den letzten Wochen hatte seine Freude merklich nachgelassen, wenn er den Inhalt seines Weinkellers begutachtete. Der Grund war, dass, abgesehen von einigen wenigen Privilegierten, niemand die edlen Tropfen von Latour, Margaux oder Petrus zu Gesicht bekam, und diejenigen, denen diese Ehre zuteil wurde, sich oft nicht ausreichend beeindruckt zeigten. Erst gestern Abend hatte er ein zu Besuch weilendes Paar aus Malibu für würdig befunden, im Zuge einer ausgiebigen Besichtigungstour Weine im Wert von sage und schreibe drei Millionen Dollar in Augenschein zu nehmen, doch die beiden hatten sich nicht einmal die Mühe gemacht, ihre Sonnenbrillen abzunehmen. Und noch schlimmer: Sie hatten den Opus One abgelehnt, der zum Dinner gereicht wurde – einen der teuersten und höchstbewerteten heimischen Weine – und stattdessen Eistee verlangt. Keine Spur von Wertschätzung, keine Spur von Ehrerbietung. Ein solcher Abend musste jeden Weinsammler, der etwas auf sich hielt, zur Verzweiflung bringen.
Bei der Erinnerung daran schüttelte Roth unwillkürlich den Kopf, und er blieb auf dem Weg zur Garage einen Augenblick stehen, um sich wenigstens an dem Panorama zu freuen: Im Westen konnte er Beverly Hills, im Osten Thai Town und Little Armenia und im Süden, jenseits des endlosen unbebauten Areals, die schimmernden Flugzeuge in Spielzeuggröße erkennen, die auf dem LAX, dem internationalen
Flughafen von Los Angeles, starteten und landeten. Vielleicht nicht der schönste Ausblick, besonders wenn Smog in der Luft lag, aber ein erhebender, weitläufiger Ausblick, ein kostspieliger Ausblick und, vor allem, sein persönlicher Ausblick. Meins, alles meins, dachte er zuweilen heimlich, insbesondere nach Einbruch der Dunkelheit, wenn sich die Lichter tief unter ihm meilenweit wie ein glänzender Teppich ausbreiteten.
Er zwängte sich mit akrobatischen Verrenkungen in den beengten Innenraum seines Mercedes und atmete tief den Duft von gut genährtem Leder und poliertem Walnussholz ein. Dieses Modell war ein Klassiker, eine Ikone der Automobilindustrie, so alt, dass sie der Erfindung der Getränkedose vorausging, und Rafael, sein mexikanischer Verwalter, hütete sie wie ein Museumsstück. Roth lavierte seine Nobelkarosse behutsam aus der Garage und fuhr in Richtung Wilshire Boulevard, wo sich seine Kanzlei befand, während seine Gedanken zu seinem Keller und dem Pärchen aus Malibu zurückkehrten, Schwachköpfe, die er eigentlich noch nie hatte leiden können. Warum hatte er sie überhaupt eingeladen?
Ehe er sichs versah, verstrickte der Anwalt sich auch schon in eine philosophische Betrachtung der Freuden des Besitzes. Er musste sich eingestehen, dass die Wertschätzung – ja, sogar der Neid anderer – sein eigenes Glücksempfinden steigerte. Worin, fragte er sich, soll die Befriedigung liegen, begehrenswerte Besitztümer zu sammeln, die kaum jemand zu sehen bekommt? Das wäre ähnlich, als würde er seine jugendfrische blonde Frau wegsperren, um sie dem Blick der Öffentlichkeit zu entziehen, oder seinen Mercedes zu lebenslänglicher Verbannung in der Garage verurteilen! Dennoch hortete er die besten Weine der Welt im Wert von
mehreren Millionen Dollar in einem Keller, den nicht mehr als ein halbes Dutzend Besucher im Jahr in Augenschein nahmen.
Als er den getönten Glaskäfig erreichte, der seine Kanzlei beherbergte, war Roth zu zwei Schlussfolgerungen gelangt: erstens, dass heimlicher Genuss etwas für Warmduscher war, und zweitens, dass seine Weinsammlung ein breiteres Forum verdiente.
Er trat aus dem Fahrstuhl und strebte seinem Büro zu, ein Eckbüro, wie es sich gehörte; dabei rüstete er sich für den täglichen Nahkampf mit seiner Vorstandssekretärin Cecilia Volpé.
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