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Ein diplomatischer Zwischenfall

Ein diplomatischer Zwischenfall

Titel: Ein diplomatischer Zwischenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Motiv für das Verbrechen. Ich stopfte die Papiere wieder in den Safe, ließ den Schlüssel in der Tür stecken und ging schnurstracks auf mein Zimmer. Am nächsten Morgen, als das Hausmädchen die Leiche entdeckte, tat ich, als sei ich ebenso überrascht und entsetzt wie alle anderen.«
    Sie schwieg und blickte jämmerlich zu Poirot hinüber.
    »Sie glauben mir doch, Monsieur Poirot? O sagen Sie mir doch, bitte, dass Sie mir glauben!«
    »Ja, ich glaube Ihnen, Mademoiselle. Sie haben mir manches erklärt, was mir bisher rätselhaft war. Einmal Ihre absolute Gewissheit, dass Charles Leverson der Täter war, zum anderen Ihre hartnäckigen Bemühungen, mich von hier fernzuhalten.«
    »Ich hatte Angst vor Ihnen«, gab sie unumwunden zu. »Lady Astwell konnte ja nicht so bestimmt wissen wie ich, dass Charles schuldig war, und ich durfte nichts sagen. Daher hegte ich die verzweifelte Hoffnung, dass Sie den Fall ablehnen würden.«
    »Wenn Sie das nicht so offensichtlich angestrebt hätten, hätte ich es vielleicht auch getan«, bemerkte er trocken.
    Lily warf ihm rasch einen Blick zu; ihre Lippen zitterten ein wenig.
    »Und nun, Monsieur Poirot – was wollen Sie nun tun?«
    »Was Sie angeht, Mademoiselle, nichts. Ich glaube Ihnen und akzeptiere Ihre Geschichte. Als Nächstes werde ich nach London fahren und Inspektor Miller aufsuchen.«
    »Und dann?«, fragte Lily.
    »Und dann«, sagte Poirot, »werden wir mal sehen.«
    Draußen vor der Tür des Studierzimmers sah er sich noch einmal das kleine Stückchen Chiffon in seiner Hand an.
    »Erstaunlich«, murmelte er selbstgefällig vor sich hin, »diese Findigkeit, diese Geistesblitze von Hercule Poirot!«
     
    Inspektor Miller hatte Monsieur Poirot nicht gerade besonders in sein Herz geschlossen. Er gehörte am Yard nicht zu der kleinen Gruppe von Inspektoren, die Poirot als Mitarbeiter willkommen hießen. Er pflegte zu sagen, Hercule Poirot werde stark überschätzt. In diesem Falle war er seiner Sache ziemlich sicher. Infolgedessen begrüßte er Poirot in guter Laune.
    »Sie vertreten Lady Astwell, nicht wahr? Da haben Sie sich aber in die Tinte gesetzt.«
    »Es besteht also gar kein Zweifel in diesem Falle?«
    Miller kniff ein Auge zu. »Niemals einen klareren Fall gehabt. Man müsste denn schon den Mörder direkt mit bluttriefenden Händen bei der Tat ertappen.«
    »Soviel ich weiß, hat Leverson eine Erklärung abgegeben, nicht wahr?«
    »Er hätte besser daran getan, seinen Mund zu halten«, sagte der Inspektor. »Er wiederholt immer wieder, dass er sofort nach oben auf sein Zimmer gegangen und überhaupt nicht mehr in der Nähe seines Onkels gewesen sei. Das ist eine törichte Geschichte, angesichts der Tatsachen.«
    »Das ganze Beweismaterial spricht gewiss stark dagegen«, murmelte Poirot. »Was für einen Eindruck haben Sie denn von diesem jungen Mr Leverson?«
    »Verdammt blöder Kerl!«
    »Ein schwacher Charakter, wie?«
    Der Inspektor nickte.
    »Man sollte es kaum für möglich halten, dass so ein Typ den Mumm hat, ein derartiges Verbrechen zu begehen.«
    »Auf den ersten Blick hin, nein«, gab der Inspektor zu. »Aber du meine Güte, wie oft habe ich das in meiner Praxis schon erlebt: Treiben Sie einen schwachen, vergnügungssüchtigen jungen Mann in die Enge, füllen Sie ihn mit zu viel Alkohol, und für eine kurze Zeit haben Sie ihn in einen Eisenfresser verwandelt. Ein schwacher, in die Enge getriebener Mann ist gefährlicher als ein Kraftmensch.«
    »Das stimmt allerdings, da haben Sie ganz Recht.«
    Miller wurde etwas leutseliger.
    »Für Sie ist es natürlich einerlei, Monsieur Poirot«, sagte er. »Sie bekommen Ihr Honorar so oder so. Sie müssen selbstverständlich so tun, als ob Sie das Beweismaterial prüfen, um Ihre Ladyship zufrieden zu stellen. Das kann ich alles gut verstehen.«
    »Was Sie nicht alles verstehen«, murmelte Poirot und verabschiedete sich.
     
    Sein nächster Besuch galt dem Rechtsanwalt, der Charles Leverson vertrat. Mr Mayhew war ein dünner, trockener, vorsichtiger Mann. Er empfing Poirot mit großer Reserviertheit. Poirot hatte jedoch seine eigene Art, Vertrauen zu erwecken. Bereits nach zehn Minuten unterhielten sich die beiden in liebenswürdiger Weise.
    »Sie verstehen mich doch recht«, sagte Poirot. »Ich vertrete einzig und allein Mr Leverson. Das ist Lady Astwells Wunsch. Sie ist überzeugt, dass er unschuldig ist.«
    »Ja, ja, ganz recht«, sagte Mr Mayhew ohne besondere Begeisterung.
    Poirot zwinkerte mit den Augen.

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