Ein diplomatischer Zwischenfall
zu lassen?«
»Wozu denn das?«
Poirot beugte sich zu ihr hinüber.
»Wenn ich Ihnen sagen würde, Madame, dass Ihre Intuition sich auf Tatsachen gründet, die im Unterbewusstsein haften geblieben sind, würden Sie skeptisch sein. Ich will daher nur sagen, dass dieses von mir vorgeschlagene Experiment für den unglücklichen jungen Mann, Charles Leverson, von größter Wichtigkeit sein mag. Da schlagen Sie es mir doch wohl nicht ab, wie?«
»Wer soll denn hypnotisieren?«, fragte Lady Astwell misstrauisch. »Sie?«
»Ein Freund von mir, Lady Astwell. Wenn ich mich nicht täusche, fährt er gerade vor. Ich höre Räder seines Wagens draußen auf dem Kies.«
»Wer ist es?«
»Ein Dr. Cazalet aus der Harley Street.«
»Ist er – in Ordnung?«, fragte Lady Astwell ängstlich.
»Er ist kein Quacksalber, Madame, wenn Sie das meinen sollten. Sie können sich ihm ohne Bedenken anvertrauen.«
»Na«, sagte Lady Astwell mit einem Seufzer, »ich glaube ja zwar, es ist alles Hokuspokus, aber Sie können es versuchen, wenn Sie wollen. Niemand soll sagen, dass ich Ihnen einen Stein in den Weg gelegt habe.«
»Tausend Dank, Mylady.«
Poirot eilte aus dem Zimmer. Nach wenigen Minuten kam er zurück und machte Lady Astwell mit einem heiteren, pausbäckigen kleinen Mann bekannt, der eine Brille trug und ihre Vorstellungen von einem Hypnotiseur völlig über den Haufen warf.
»Na«, sagte Lady Astwell gutmütig, »wie soll denn dieser Unsinn vor sich gehen?«
»Ganz einfach, Lady Astwell, ganz einfach«, sagte der kleine Doktor. »Lehnen Sie sich entspannt zurück – so – ganz recht, ganz recht. Nur keine Aufregung.«
»Ich bin durchaus nicht aufgeregt«, sagte Lady Astwell. »Ich möchte bloß den mal sehen, der mich gegen meinen Willen hypnotisieren wollte.«
»Ja, aber wenn Sie eingewilligt haben, ist es ja nicht gegen Ihren Willen, nicht wahr?«, sagte er heiter. »Schalten Sie bitte das andere Licht aus, Monsieur Poirot. Nun lassen Sie sich einfach einschläfern, Lady Astwell.«
Er änderte seine Stellung ein wenig.
»Es ist schon spät. Sie sind müde – sehr müde. Ihre Lider werden schwer, sie fallen zu – fallen zu – fallen zu. Bald werden Sie schlafen…«
Er sprach weiter mit monotoner Stimme, besänftigend, immer im gleichen Tonfall. Plötzlich beugte er sich vor und hob Lady Astwells rechtes Augenlid sanft empor. Dann wandte er sich Poirot zu und nickte zufrieden.
»Es ist so weit«, sagte er leise. »Soll ich fortfahren?«
»Ja, bitte.«
Der Doktor sprach in scharfem, gebieterischem Ton: »Sie schlafen jetzt, Lady Astwell, aber Sie hören mich und Sie können meine Fragen beantworten.«
Ohne sich zu rühren oder die Augen aufzuschlagen, antwortete die regungslose Gestalt auf dem Sofa mit leiser, monotoner Stimme:
»Ich höre Sie. Ich kann Ihre Fragen beantworten.«
»Lady Astwell, besinnen Sie sich bitte auf den Abend, an dem Ihr Gatte ermordet wurde. Erinnern Sie sich an den Abend?«
»Ja.«
»Sie saßen am Esstisch. Beschreiben Sie mir, was Sie sahen und fühlten.«
Die ausgestreckte Figur bewegte sich etwas unruhig.
»Ich bin sehr unglücklich. Ich mache mir Sorgen um Lily.«
»Das wissen wir. Sagen Sie uns, was Sie gesehen haben.«
»Victor isst alle Salzmandeln auf; er ist ungezogen. Morgen werde ich Parsons sagen, er soll die Schale nicht in seine Nähe stellen.«
»Weiter, Lady Astwell.«
»Reuben ist heute Abend schlechter Laune. Nicht nur Lily wegen, glaube ich. Es sind wohl geschäftliche Angelegenheiten. Victor wirft ihm merkwürdige Blicke zu.«
»Erzählen Sie uns etwas über Mr Trefusis, Lady Astwell.«
»Seine linke Manschette ist ausgefranst. Er schmiert sich viel Pomade aufs Haar. Ich wollte, die Männer ließen das sein; es ruiniert die Bezüge im Salon.«
Cazalet blickte Poirot an. Der machte eine leichte Bewegung mit dem Kopf.
»Es ist nach dem Essen, Lady Astwell, Sie trinken Kaffee. Beschreiben Sie mir die Szene.«
»Der Kaffee ist gut. Er ist immer verschieden. In Bezug auf Kaffee ist kein Verlass auf die Köchin. Lily schaut dauernd zum Fenster hinaus. Ich weiß nicht, warum. Nun kommt Reuben ins Zimmer. Er ist heute Abend in denkbar schlechter Laune und überschüttet den armen Trefusis geradezu mit einer Flut von Schmähungen. Mr Trefusis hat einen Brieföffner in der Hand, den großen, der so scharf ist wie ein Messer. Wie fest er ihn greift. Seine Knöchel sind ganz weiß. Sehen Sie nur, er hat ihn so heftig in den Tisch gestoßen, dass die Spitze
Weitere Kostenlose Bücher