Ein diplomatischer Zwischenfall
blätterte darin.
»Der Neunzehnte, Zwanzigste, Einundzwanzigste, Zweiundzwanzigste… aha, hier haben wir’s. Naylor, Captain Humphrey Naylor.«
»Hat er schon öfter hier gewohnt? Kennen Sie ihn gut?«
»Einmal vorher«, sagte Miss Cole, »ungefähr vierzehn Tage früher, und ich kann mich deutlich entsinnen, dass er damals abends auch ausging.«
»Er kam wohl hierher, um Golf zu spielen?«
»Wahrscheinlich«, sagte Miss Cole. »Das tun ja die meisten Herren hier.«
»Stimmt«, sagte Poirot. »Nun, Mademoiselle, ich danke Ihnen verbindlichst und wünsche Ihnen einen guten Tag.«
Auf dem Rückweg nach »Mon Repos« war er sehr nachdenklich. Ein paar Mal zog er etwas aus der Tasche und schaute es sich an.
»Es muss sein«, murmelte er vor sich hin, »und zwar bald. Bei der allernächsten Gelegenheit.«
Sofort nach seiner Rückkehr erkundigte er sich bei Parsons, wo Miss Margrave wohl zu finden sei, und erfuhr, dass sie Lady Astwells Korrespondenz im kleinen Studierzimmer erledige. Diese Auskunft schien bei ihm eine tiefe Befriedigung auszulösen.
Er fand das kleine Studierzimmer ohne Schwierigkeiten. Lily Margrave saß an einem Schreibtisch beim Fenster und schrieb. Außer ihr war niemand im Zimmer. Poirot schloss sorgfältig die Tür hinter sich und ging auf das Mädchen zu.
»Wollen Sie mir ein paar Minuten Ihrer kostbaren Zeit widmen, Mademoiselle?«
»Aber gern.« Lily Margrave schob ihre Papiere zur Seite und wandte sich Poirot zu.
»Was kann ich für Sie tun?«
»Soweit ich unterrichtet bin, Mademoiselle, sind Sie an jenem tragischen Abend, als Lady Astwell ihren Gatten aufsuchte, sofort zu Bett gegangen. Stimmt das?«
Lily Margrave nickte.
»Und Sie sind nicht aus irgendeinem Grunde wieder heruntergekommen?«
Das Mädchen schüttelte den Kopf.
»Ich glaube, Sie sagten mir einmal, Sie seien an jenem Abend überhaupt nicht im Turmzimmer gewesen. Ist das richtig?«
»Ich erinnere mich zwar nicht, das gesagt zu haben, aber ich bin tatsächlich an dem Abend nicht im Turmzimmer gewesen.«
Poirot zog die Augenbrauen hoch.
»Merkwürdig«, murmelte er.
»Was soll das heißen?«
»Sehr merkwürdig«, murmelte Poirot wieder. »Wie erklären Sie sich denn das?«
Damit zog er einen kleinen verfärbten grünen Chiffonfetzen aus der Tasche und hielt ihn dem Mädchen zur Besichtigung hin.
Sie verzog keine Miene, aber er spürte, dass sie den Atem scharf einzog.
»Ich verstehe Sie nicht, Monsieur Poirot.«
»Sie haben doch an dem Abend ein grünes Chiffonkleid getragen, Mademoiselle. Dieses Stück«, er tippte auf den Schnippel in seiner Hand, »war davon abgerissen.«
»Und Sie fanden es im Turmzimmer?«, fragte das Mädchen vorsichtig. »Wo denn da?«
Hercule Poirot blickte zur Decke.
»Für den Augenblick sagen wir einfach – im Turmzimmer.«
Zum ersten Male kam etwas wie Furcht in ihre Augen. Sie begann zu sprechen, hörte aber sofort wieder auf. Poirot beobachtete, wie sich ihre kleinen weißen Hände auf der Tischkante zusammenballten.
»Vielleicht bin ich an dem Abend doch im Turmzimmer gewesen«, sagte sie grübelnd. »Vor dem Essen, meine ich. Ich glaube es zwar nicht. Ich möchte beinahe mit Bestimmtheit sagen: nein. Außerdem ist es ja sehr merkwürdig, dass die Polizei den Fetzen nicht sofort gefunden hat, wenn er die ganze Zeit über im Turmzimmer war.«
»Die Polizei«, sagte der kleine Mann, »hat nicht dieselben Ideen wie Hercule Poirot.«
»Es kann sein, dass ich gerade vor dem Essen auf einen Sprung hineingegangen bin«, sagte Lily Margrave nachdenklich, »oder vielleicht am Abend vorher. Ich habe da dasselbe Kleid getragen. Ja, es muss bestimmt am Abend vorher gewesen sein.«
»Ich glaube nicht«, sagte Poirot gelassen.
»Warum?«
Er schüttelte nur ganz langsam den Kopf.
»Was wollen Sie damit sagen?«, flüsterte das Mädchen.
Sie beugte sich vor und starrte ihn an, wobei alle Farbe aus ihrem Gesicht wich.
»Sehen Sie denn nicht, Mademoiselle, dass dieses Stückchen verfärbt ist? Ganz zweifelsfrei ist das menschliches Blut.«
»Sie wollen sagen -?«
»Ich will damit sagen, Mademoiselle, dass Sie im Turmzimmer waren, nachdem das Verbrechen begangen worden war, nicht vorher. Ich glaube, Sie sagen mir am besten die volle Wahrheit. Sonst könnte die Sache noch heikler für Sie werden.«
Er stand auf, nahm plötzlich eine strenge Miene an und erhob den Zeigefinger warnend gegen das Mädchen.
»Wie haben Sie das nur herausbekommen?«, stieß Lily hervor.
»Das
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