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Ein diplomatischer Zwischenfall

Ein diplomatischer Zwischenfall

Titel: Ein diplomatischer Zwischenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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»Sie halten wohl nicht viel von Lady Astwells Überzeugungen, wie?«
    »Morgen mag sie ebenso sehr von seiner Schuld überzeugt sein«, antwortete der Anwalt trocken.
    »Ihre Intuitionen sind natürlich kein Beweis«, gab Poirot zu, »und auf den ersten Blick hin steht die Sache sehr schlimm für diesen armen jungen Mann.«
    »Es ist schade, dass er der Polizei diesen Unsinn erzählt hat«, sagte der Anwalt. »Es ist ganz zwecklos für ihn, bei der Geschichte zu bleiben.«
    »Beharrt er Ihnen gegenüber auch auf seiner Aussage?«
    Mayhew nickte. »Er ändert sie auch nicht um ein Jota. Er wiederholt sie wie ein Papagei.«
    »Und das hat Ihren Glauben an ihn zerstört«, sagte Poirot sinnend. »Leugnen Sie es nicht ab«, fügte er schnell hinzu und hob abwehrend die Hand. »Ich sehe es nur deutlich. In Ihrem Herzen halten Sie ihn für schuldig. Aber hören Sie einmal auf mich, Hercule Poirot. Ich will Ihnen einen Fall vortragen:
    Dieser junge Mann kommt nachhause; er hat einen Cocktail, noch einen Cocktail und abermals einen Cocktail getrunken, zweifellos auch viele englische Whiskys mit Soda. Er ist von einem so genannten Säufermut erfüllt. In dieser Stimmung schließt er die Haustür auf und steigt mit wankenden Schritten zum Turmzimmer hinauf. Er schaut zur Tür hinein und sieht in dem gedämpften Licht seinen Onkel, anscheinend über den Schreibtisch gebeugt.
    Wie bereits erwähnt, hat Mr Leverson sich Mut angetrunken. Er nimmt kein Blatt vor den Mund und sagt seinem Onkel klipp und klar, was er von ihm denkt. Er ist herausfordernd und beleidigend. Sein Onkel aber erwidert nichts, und das macht ihn immer mutiger; er redet mehr und mehr, sagt immer wieder dasselbe und jedes Mal lauter. Aber schließlich macht ihn das anhaltende Schweigen seines Onkels doch beklommen. Er geht zu ihm hin und legt ihm die Hand auf die Schulter. Unter dieser Berührung sinkt die Gestalt seines Onkels zusammengekauert zu Boden.
    Nun ist er plötzlich nüchtern, dieser Mr Leverson. Der Stuhl fällt krachend um, und Leverson beugt sich über Sir Reuben. Es wird ihm klar, was geschehen ist. Er blickt auf seine Hand, die mit etwas Warmem, Rotem bedeckt ist. Er gerät nun in eine Panik und gäbe alles in der Welt darum, wenn er doch nur den Schrei, der sich soeben seinen Lippen entrungen hat und durchs Haus hallt, zurückrufen könnte. Mechanisch hebt er den Stuhl auf. Dann eilt er zur Tür hinaus und horcht. Er bildet sich ein, er höre ein Geräusch. Automatisch tut er sofort, als spräche er mit seinem Onkel durch die offene Tür.
    Das Geräusch wiederholt sich nicht. Er ist nun überzeugt, dass er sich verhört hat. Es herrscht völliges Schweigen, und er schleicht sich nach oben auf sein Zimmer. Dort kommt ihm der Gedanke, dass es vielleicht viel besser ist, wenn er so tut, als habe er seinen Onkel in der Nacht gar nicht aufgesucht. So erzählt er dann seine Geschichte. Man muss bedenken, dass Parsons damals noch nichts von dem erwähnt hatte, was er hörte. Als Parsons dann darüber spricht, ist es zu spät für Leverson, die Geschichte zu ändern. In seiner Dummheit, in seinem Eigensinn, bleibt er dabei. Nun sagen Sie mir, Monsieur, hätte es nicht so sein können?«
    »Ja«, sagte der Anwalt, »so wie Sie es hinstellen, halte ich es auch für möglich.«
    Poirot erhob sich.
    »Sie haben das Privileg, Mr Leverson zu sehen. Wiederholen Sie ihm, was ich gesagt habe, und fragen Sie ihn, ob es sich nicht so verhält.«
    Draußen vor dem Büro des Anwalts winkte Poirot ein Taxi herbei:
    »Harley Street 348«, sagte er zum Chauffeur.
     
    Poirots Abreise nach London war für Lady Astwell völlig überraschend gekommen, denn der kleine Mann hatte nichts von seinen Plänen erwähnt. Als er vierundzwanzig Stunden später zurückkehrte, meldete ihm Parsons, dass Lady Astwell ihn so bald wie möglich zu sprechen wünsche. Poirot fand die Dame in ihrem Zimmer. Sie lag inmitten vieler Kissen auf einem Diwan und sah auffallend schlecht und hager aus, viel schlechter als an dem Tage, an dem Poirot angekommen war.
    »Sie sind also wieder zurück, Monsieur Poirot?«
    »Jawohl, Mylady.«
    »Sie waren in London?«
    Poirot nickte.
    »Warum haben Sie mir vorher nichts davon gesagt?«, fragte sie scharf.
    »Ich bitte tausendmal um Verzeihung, Mylady. Es war nicht richtig von mir. Ich hätte es Ihnen sagen sollen. Das nächste Mal – «
    »Werden Sie genauso handeln«, unterbrach sie ihn mit etwas boshaftem Humor. »Erst handeln, dann reden, das ist

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