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Ein diplomatischer Zwischenfall

Ein diplomatischer Zwischenfall

Titel: Ein diplomatischer Zwischenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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spielt keine Rolle, Mademoiselle. Ich kann Ihnen nur sagen, Hercule Poirot weiß es. Ich weiß auch Bescheid über Captain Humphrey Naylor, und dass Sie ihn an dem fraglichen Abend getroffen haben.«
    Lily legte plötzlich den Kopf auf die Arme und brach in Tränen aus. Sofort gab Poirot die anklagende Haltung auf.
    »Na, na, meine Kleine«, sagte er und klopfte ihr väterlich auf die Schulter. »Regen Sie sich nicht auf. Es ist unmöglich, Hercule Poirot zu täuschen. Sobald Sie sich das einmal klargemacht haben, sind alle Ihre Sorgen vorbei. Und nun werden Sie mir die ganze Geschichte erzählen, nicht wahr? Schütten Sie dem alten Papa Poirot nur ruhig Ihr Herz aus.«
    »Es ist nicht so, wie Sie denken, bestimmt nicht. Humphrey – mein Bruder – hat nicht ein Haar auf Reuben Astwells Haupte angerührt.«
    »Ihr Bruder, wie?«, sagte Poirot. »So läuft der Hase also. Na, wenn Sie ihn vom Verdacht befreien wollen, müssen Sie mir jetzt die ganze Geschichte rückhaltlos erzählen.«
    Lily richtete sich wieder auf und schob sich das Haar aus der Stirne. Nach einer kleinen Weile begann sie mit leiser, klarer Stimme:
    »Ich will Ihnen die Wahrheit sagen, Monsieur Poirot. Ich sehe ein, dass alles andere lächerlich ist. Mein richtiger Name ist Lily Naylor, und Humphrey ist mein einziger Bruder. Vor einigen Jahren, als er drüben in Afrika war, entdeckte er eine Goldmine oder, besser gesagt, das Vorhandensein von Gold. Genaueres darüber kann ich Ihnen nicht sagen, weil ich die technischen Einzelheiten nicht verstehe. Aber die Quintessenz ist die: Der Fund schien sehr viel versprechend zu sein, und Humphrey kam heim mit Briefen für Sir Reuben Astwell, den er dafür zu interessieren hoffte. Ich verstehe auch heute noch nicht, wie das alles über die Bühne ging. Ich weiß nur, dass Sir Reuben einen Experten hingeschickt hat, der ihm Bericht erstatten sollte. Später hat er dann meinem Bruder gesagt, der Bericht sei ungünstig und er, Humphrey, habe sich geirrt. Mein Bruder ging nach Afrika zurück, organisierte eine Expedition ins Innere und blieb dann verschollen. Man nahm an, dass er und die ganze Equipe umgekommen seien.
    Ganz kurz danach wurde eine Gesellschaft gegründet zwecks Ausbeutung der Goldfelder von Mpala. Als mein Bruder dann doch wieder nach England zurückkam, zog er gleich den Schluss, dass dies die Goldfelder seien, die er entdeckt hatte. Allem Anschein nach hatte Sir Reuben mit dieser Gesellschaft nichts zu tun. Es machte den Eindruck, als hätten sie die Stelle von sich aus entdeckt. Aber mein Bruder war nicht davon überzeugt. Er war der festen Ansicht, dass Sir Reuben ihn mit Vorbedacht beschwindelt habe.
    Er regte sich immer mehr darüber auf und wurde von Tag zu Tag unglücklicher. Wir beiden stehen ganz allein in der Welt, Monsieur Poirot, und da ich damals gezwungen war, mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen, kam mir die Idee, einen Posten in diesem Haushalt anzunehmen und ausfindig zu machen, ob Sir Reuben etwas mit den Goldfeldern von Mpala zu tun habe. Aus begreiflichen Gründen vertuschte ich meinen richtigen Namen, und ich gebe zu, dass ich Referenzen gefälscht habe.
    Es haben sich viele um diesen Posten beworben. Die meisten davon besaßen bessere Qualifikationen als ich, Monsieur Poirot. Na, da habe ich mir halt eine wunderschöne Empfehlung von der Herzogin von Perthshire geschrieben. Ich wusste nämlich, dass sie gerade nach Amerika gereist war. Ich nahm an, dass eine Herzogin einen nachhaltigen Eindruck auf Lady Astwell machen würde, und darin hatte ich nicht Unrecht. Sie hat mich auf der Stelle engagiert.
    Seither habe ich die verhasste Rolle einer Spionin gespielt, allerdings bis vor Kurzem ohne Erfolg. Sir Reuben gehört nicht zu denen, die ihre Geschäftsgeheimnisse auf der Zunge tragen. Aber als Victor Astwell aus Afrika zurückkam, war er nicht mehr ganz so vorsichtig in seinen Gesprächen, und es dämmerte mir, dass Humphrey sich doch wohl nicht geirrt hatte. Mein Bruder kam etwa vierzehn Tage vor dem Mord hierher, und ich schlich mich aus dem Hause und traf mich heimlich in der Nacht mit ihm. Als ich erwähnte, was Victor Astwell gesagt hatte, wurde er ganz aufgeregt und versicherte mir, ich sei entschieden auf der richtigen Spur.
    Aber danach schien alles schief zu gehen. Jemand muss mich gesehen haben, als ich mich aus dem Hause schlich, und Sir Reuben darüber Bericht erstattet haben. Er wurde misstrauisch und prüfte meine Referenzen nach. Natürlich entdeckte er sehr

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