Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Drama am Ufer des Meeres (German Edition)

Ein Drama am Ufer des Meeres (German Edition)

Titel: Ein Drama am Ufer des Meeres (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
Vom Netzwerk:
so einher?
    In dem Augenblick, wo die Dächer der Stadt am Horizont auftauchten, auf dem sie eine graue Linie abzeichneten, begegneten wir einem armen Fischer, der nach le Croisic zurückkehrte; er war barfuß; seine Leinwandhosen waren unten zerrissen, durchlöchert, schlecht geflickt; er trug ein Hemd aus Segelleinwand, zerfranste Hosenträger und einen Lumpen als Rock. Dieses Elend tat uns weh, gleich als wenn eine Dissonanz mitten in unsere Harmonien gedrungen wäre. Wir sahen uns an, um uns gegenseitig zu bedauern, daß wir in diesem Augenblick nicht die Kraft hatten, aus den Schätzen von Abulkaßim zu schöpfen. Wir bemerkten eine prächtige Hummer und eine Seespinne, die an einer Schnur befestigt waren, welche der Fischer in seiner rechten Hand hin und her bewegte, während er in der andern sein Segel- und Fanggerät hielt. Wir gingen auf ihn zu, in der Absicht, ihm seinen Fisch abzukaufen, ein Gedanke, der uns beiden gleichzeitig kam, und der sich in Paulines Lächeln ausdrückte, auf das ich mit einem leichten Druck ihres Armes antwortete, den ich an meine Brust zog. Das sind Geringfügigkeiten, die hernach die Erinnerung zu einem Gedicht gestaltet, wenn wir uns, beim Schein des Feuers, der Stunde erinnern, wo dieses Nichts uns bewegt hat, des Orts, wo es sich zugetragen hat, und des Wahns, dessen Wirkungen noch nicht festgestellt sind, der sich aber oft aus den Dingen entwickelt, die uns umgeben, in den Augenblicken, wo das Leben leicht und unser Herz voll ist. Die schönsten Stätten sind unsere eigne Schöpfung. Welcher Mensch, der ein wenig Dichter ist, hat nicht in seiner Erinnerung ein Fleckchen Erde, das dort einen größeren Platz einnimmt als all' die berühmten Bilder aus fremden Ländern, die man nur unter hohen Kosten aufgesucht hat. Das ist die Stätte seiner stürmischsten Gedanken, seiner kühnsten Hoffnungen.
    In diesem Augenblick warf die Sonne, gleichgestimmt mit jenen Gedanken der Liebe oder der Sehnsucht, auf die fahlen Hänge des Felsens einen brennenden Schein; einige Gebirgsblumen zogen die Aufmerksamkeit auf sich; Ruhe und Schweigen steigerten noch den Eindruck dieser düsteren Kluft, die nur durch unsern Traum belebt wurde; wie schön wurde sie mit ihrer dürftigen Vegetation, ihren glühenden Kamillen, ihren haarigen, sammetartigen Blättern! Welch endloses Fest, prächtiger Schmuck, selige Steigerung der menschlichen Kräfte! Schon einmal hatte der See von Bienne, der Blick auf die Insel Saint-Pierre so zu mir gesprochen; der Felsen von le Croisic wird vielleicht die letzte dieser Freuden gewesen sein! Doch was wird dann aus Pauline werden?
    »Sie haben heute morgen einen schönen Fang gemacht, mein Lieber?« sage ich zu dem Fischer.
    »Ja, mein Herr«, antwortete er, indem er stehenblieb und uns das gebräunte Gesicht der Leute zeigte, die stundenlang den Rückstrahlungen der Sonne über dem Wasser ausgesetzt sind.
    Dieses Gesicht kündigte eine tiefe Resignation an, die Geduld des Fischers und seine wilden Sitten. Dieser Mann hatte eine Stimme ohne Klang, gutmütige Lippen, keinerlei Ehrgeiz, irgend etwas Dürftiges, Armseliges. Jede andere Physiognomie hätte uns mißfallen.
    »Wohin bringen Sie das zum Verkauf?
    »Nach der Stadt.«
    »Wieviel wird man Ihnen für den Hummer geben?«
    »Fünfzehn Sous.«
    »Für die Seespinne?«
    »Zwanzig Sous.«
    »Warum solch ein Unterschied zwischen der Hummer und der Seespinne?«
    »Mein Herr, die Seespinne ist sehr viel feiner; und dann ist sie boshaft wie ein Affe und läßt sich nur selten fangen.«
    »Wollen Sie uns das Ganze für hundert Sous lassen?« sagte Pauline.
    Der Mann war wie versteinert.
    »Du wirst es nicht dafür bekommen!« sagte ich lachend; »ich gebe zehn Frank. Man muß für seine Gemütsregungen zu zahlen wissen, was sie wert sind.«
    »Nun gut!« antwortete sie, »ich werde es doch haben, ich gebe zehn Frank zwei Sous.
    »Zehn Sous.«
    »Zwölf Frank.«
    »Fünfzehn Frank.«
    »Fünfzehn Frank fünfzig Centimes«, sagte sie.
    »Hundert Frank.«
    »Hundert und fünfzig.«
    Ich verneigte mich. Wir waren in diesem Augenblick nicht reich genug, um den Preis noch höher zu treiben. Unser guter Fischer wußte nicht, ob er sich über eine Täuschung ärgern oder sich freuen sollte; es gelang uns nur mit Mühe, ihm den Namen unserer Wirtin zu geben und ihm aufzutragen, den Hummer und die Seespinne zu ihr zu bringen.
    »Verdienen Sie Ihren Lebensunterhalt?« fragte ich ihn, um zu erforschen, welcher Ursache sein Elend

Weitere Kostenlose Bücher