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Ein Drama in Livland

Ein Drama in Livland

Titel: Ein Drama in Livland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Prolongation seiner Verbindlichkeiten eingehen würden, konnte Dimitri Nicolef keinesfalls erwarten. Er stand hier nicht nur dem Bankier, dem Geschäftsmanne gegenüber, sondern auch dem politischen Gegner, der in ihm den Rivalen in der antigermanischen Bewegung sah, die vor ihrem Ausbruche stand. Frank Johausen, das Haupt der Firma, hatte ihn durch diese Forderung, diese Schuld – wenn es auch die letzte war – völlig in der Hand, und er würde gewiß unerbittlich sein.
    Das Gespräch zwischen dem Arzte, dem Konsul und Ilka dauerte noch eine halbe Stunde fort, und das junge Mädchen zeigte sich höchst besorgt wegen des Ausbleibens ihres Vaters, als dieser endlich an der Zimmertür auftauchte.
    Obgleich Dimitri Nicolef erst siebenundvierzig Jahre zählte, sah er doch um zehn Jahre älter aus. Seiner äußeren Erscheinung nach von übermittlerer Größe, hatte er einen schon ergrauenden Bart, ein etwas strenges Gesicht, eine von Runzeln durchschnittene Stirn – von Furchen, worin nur trübe Gedanken und quälende Sorgen aufkeimen zu können schienen – im übrigen aber erschien er recht gesund und kräftig. Von der Jugend her hatte er sich einen bezwingenden Blick und eine klangvolle, eindringliche Stimme bewahrt… jene Stimme, die, nach Jean Jacques Ausdruck, einen Widerhall im Herzen findet.
    Dimitri Nicolef entledigte sich seines vom Regen triefenden Mantels, legte den Hut auf einen Stuhl und ging dann zu seiner Tochter, die er auf die Stirn küßte; erst hierauf drückte er den beiden Freunden die Hand.
    »Du kommst ja recht spät, Vater, sagte Ilka.
    – Ich wurde aufgehalten, antwortete Dimitri. Eine Unterrichtsstunde, die sich unerwarteterweise ausdehnte…
    – Nun, so laß uns jetzt den Tee genießen, setzte das junge Mädchen hinzu.
    – Wenigstens wenn du nicht allzu ermüdet bist, bemerkte Doktor Hamine. Du sollst dich auf keinen Fall genieren… ich bin nicht zufrieden mit deinem Aussehen… du bedarfst der Ruhe…
    – Ja, doch das hat nichts zu bedeuten, antwortete Nicoles. Die Nacht wird mich wieder herstellen. Jetzt wollen wir Tee trinken, liebe Freunde, ich hab’ euch ja schon zu lange warten lassen, und wenn ihr’s erlaubt, leg’ ich mich frühzeitig nieder.
    – Was fehlt dir denn, Vater? fragte Ilka, die Dimitri ängstlich in die Augen sah.
    – Nichts, liebes Kind, nichts, sag’ ich dir. Wenn du dich noch mehr beunruhigst, wird Hamine zu guter Letzt an mir noch eine gar nicht vorhandene Krankheit entdecken, und wär’ es nur, um ihm die Befriedigung zu gewähren, mich zu kurieren!
    – Es gibt auch solche, von denen man nicht wieder gesundet, antwortete der Arzt kopfschüttelnd.
    – Sie haben nichts Neues gehört, Herr Nicolef? fragte der Konsul.
    – Nichts… außer daß der General Gorko, der in Petersburg war, nach Riga zurückgekehrt ist.
    – Schön, rief der Doktor, ich bezweifle sehr, daß diese Rückkehr den Johausens besonders angenehm sein wird, denn die sieht man da unten doch mit scheelen Augen an.«
    Auf Dimitri Nicolefs Stirn zeigten sich schwere Falten. Der Name erinnerte ihn an den bevorstehenden Zahlungstermin, der ihn jedenfalls ganz der Gnade des deutschen Bankiers überlieferte.
    Da der Tee fertig war, füllte Ilka die Tassen. Es war eine sehr gute Sorte, obwohl sie nicht, wie der Tee der reichen Leute, das Pfund bis 130 Mark kostete. Glücklicherweise gibt es solchen zu jedem Preise, denn er ist hier Volksgetränk, das bevorzugteste moskowitische Getränk, das auch von den ärmsten Leuten genossen wird.
    Zum Tee gab es schmackhafte Butterbrötchen, die die junge Haushälterin selbst hergerichtet hatte, und dabei dauerte die Unterhaltung der drei Freunde noch eine halbe Stunde an.
    Sie berührte die jetzt in Riga herrschende Stimmung, die sich übrigens von der in den anderen großen Städten der baltischen Provinzen nicht unterschied. Allgemein erregte der Kampf zwischen dem germanischen und dem slawischen Teil der Bevölkerung die Gemüter aufs tiefste, und es ließ sich voraussehen, daß der Kampf heiß werden würde, vor allem in Riga, wo die beiden Rassen besonders hart aneinander stießen.
    In Gedanken versanken, beteiligte sich Dimitri nur wenig an dem Gespräch, obgleich dasselbe gerade seine Person öfter berührte. Seine Gedanken weilten »anderswo«, wie man zu sagen pflegt… Wo? Das hätte nur er selbst sagen können. Wenn er sich aber einer Antwort nicht entziehen konnte, so gab er diese in unbestimmter, ausweichender Weise, die den Arzt gar nicht

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