Ein Drama in Livland
bekleidet, hielt er eine Briefmappe sorgsam unter dem Arme fest.
Bei seinem Eintreten ins Bureau begrüßte ihn der Postschaffner mit folgenden Worten:
»Sieh da, Poch, du warst es also, der sich einen Platz im Wagen bestellt hatte?
– Jawohl… ich war’s, Broks.
– Eine Telega ist dir also nicht gut genug?… Du brauchst einen guten Wagen mit drei Pferden?
– Und einen zuverlässigen Schaffner wie dich, alter Freund.
– Seh’ einer, Väterchen, auf die Unkosten kommt dir’s also nicht an…
– Nein, und vor allem nicht, wenn sie ein anderer zu decken hat.
– Wer ist denn dieser andere?
– Mein Chef… Frank Johausen.
– Ah… freilich, rief der Postmann, der hat es ja dazu, den ganzen Wagen zu belegen, wenn er das wünscht.
– Gewiß, Broks; ich habe zwar nur einen einzigen Platz bestellt, hoffe aber doch, Reisegesellschaft zu bekommen. Ganz allein… das wird langweilig.
– Ja mein armer Poch, damit wirst du dich diesmal schon abfinden müssen. Es kommt ja nicht oft vor, heute ist es aber gerade der Fall. Außer dir hat sich niemand einen Platz vorbehalten.
– Gar niemand?
– Kein Mensch, und wenn nicht unterwegs noch einer einsteigt, mußt du schon mit mir schwätzen. Na, leg’ dir keinen Zwang auf! Du weißt ja, so ein bißchen Unterhaltung stört mich nicht…
– Mich auch nicht, Broks!
– Wie weit fährst du denn mit?
– Bis ans Ende der Strecke, nach Reval… zum Korrespondenten der Herren Johausen.«
Mit einem Augenzwinkern deutete jetzt Poch auf die Briefmappe, die er unter dem Arme hielt und die an seinem Gürtel außerdem mit einer kupfernen Kette angeschlossen war.
»Da… da… Väterchen, antwortete Broks, es ist unnötig, mehr darüber zu schwätzen… wir sind nicht mehr allein!«
Soeben war ein Reisender, der die Andeutung des Bankbeamten wohl bemerkt haben konnte, ins Postamt eingetreten.
Dieser Reisende schien sich zu bemühen, nicht erkannt zu werden. Er trug einen langen Oberrock mit über den Kopf gezogener Kapuze, so daß sein Gesicht zum Teil verhüllt war.
»Haben Sie noch einen Platz im Postwagen frei? fragte er, auf den Schaffner zutretend.
– Sogar noch drei, antwortete Broks.
– Nun, einer ist ja genug für mich.
– Nach Reval?..
– Ja, nach Reval,« antwortete der Reisende nach kurzem Zögern.
Gleichzeitig erlegte er in Papierrubeln den Fahrpreis bis zum Bestimmungsorte, für eine Strecke von zweihundertvierzig Werst.
Dann erkundigte er sich kurz:
– »Wann fahren Sie ab?
– In zehn Minuten.
– Wo werden wir heute Abend sein?
– In Pernau, wenn uns das Wetter nicht zu arg mitspielt.
Der Weg zog sich am Saume großer Wälder hin. (S. 55.)
Bei solchem Sturme wie heute, weiß man freilich niemals…
– Sind denn Verzögerungen zu befürchten? fragte der Angestellte des Bankhauses.
– Hm, erwiderte Broks, das Aussehen des Himmels gefällt mir gar nicht… die Wolken jagen gar so schnell daran hin. Wenn sie uns nur Regen bringen, mag’s noch angehen… träte aber ein Schneegestöber ein…
– Na, du weißt doch, Broks, wenn wir gegen die Postillone nicht mit einem Gläschen Schnaps geizen, werden sie uns schon morgen Abend nach Reval bringen…
– Zu wünschen wär’ es freilich! Übrigens brauch’ ich gewöhnlich nicht mehr als sechsunddreißig Stunden für die ganze Strecke.
– Nun also, antwortete Poch. Jetzt vorwärts und keine Zeit mehr vertrödelt!
– Die Pferde sind angeschirrt, erwiderte Broks, und ich erwarte niemand mehr. Wie steht’s denn mit dem Abfahrtsschluck, Poch?… Schnaps oder Wodka?
– Schnaps,« erklärte der Bankbeamte.
Beide gingen nun nach einer gegenüberliegenden Schenke und winkten dem Postillone, ihnen zu folgen. Zwei Minuten später standen alle wieder am Wagen, worin der unbekannte Reisende schon Platz genommen hatte. Poch setzte sich neben ihn und der Wagen schwankte davon.
Die drei an der Gabeldeichsel angespannten Pferde waren kaum größer als Maulesel. Rotgelb von Farbe und mit langem, grobem Haar bedeckt, waren sie recht mutig trotz ihrer Magerkeit, die jeden angespannten Muskel deutlich hervortreten ließ. Ein Pfiff des Jemschik genügte aber, sie in flottem Gange zu halten.
Poch gehörte dem Hause der Gebrüder Johausen schon seit langen Jahren an. Fast noch als Kind eingetreten, blieb er darin voraussichtlich, bis er sich einst zur Ruhe setzte. Da er das volle Vertrauen seiner Herren genoß, betraute man ihn oft damit, an Geschäftsfreunde in Reval oder Pernau,
Weitere Kostenlose Bücher