Ein Drama in Livland
befriedigte.
»Ich bitte dich, Dimitri, sagte dieser wiederholt, du machst den Eindruck, als säßest du tief drinnen in Kurland, während wir doch in Riga sind!… Solltest du etwa gar die Absicht haben, dich von dem Kampfe fern zu halten? Die Meinung der Menge ist doch auf deiner Seite, die höchste Behörde tritt für dich ein. Willst du den Johausens wirklich noch einmal zum Siege verhelfen?«
Wieder dieser Name, der auf den unglücklichen Schuldner des reichen Bankhauses wie ein Faustschlag wirkte.
»Sie sind mächtiger, als du es glaubst, Hamine, antwortete Dimitri.
– Doch weniger, als sie sich selbst den Anschein geben, das wird sich bald zeigen!« erwiderte der Doktor.
An der Uhr schlug es halb neun. Es war Zeit, sich zurückzuziehen. Der Arzt und Herr Delaporte erhoben sich, um ihren Wirten Gute Nacht zu sagen. Draußen tobte ein abscheuliches Wetter: der Regen peitschte gegen die Fenster, der Wind pfiff kreischend um die Straßenecken, fing sich in den Schornsteinen und trieb zuweilen den Rauch der Ofen nach unten zurück.
»Das ist ja abscheulich da draußen! sagte der Konsul.
– Ja, wahrlich kein Wetter, einen Arzt auf die Straße hinauszujagen! erklärte der Doktor. Doch kommen Sie nur mit, Delaporte; ich biete Ihnen einen Platz in meinem Wagen an… einen Wagen mit zwei Beinen, doch ohne Räder.«
Der Doktor umarmte Ilka, wie er das von jeher zu tun pflegte. Delaporte und er drückten dann noch Dimitri die Hand, der sie bis zur Haustür begleitete. Dann verschwanden beide in der Dunkelheit und dem rasenden Sturme.
Ilka gab ihrem Vater noch den Gute Nachtkuß, und Dimitri preßte sie, heute vielleicht noch etwas zärtlicher als sonst, in die Arme.
»Was ich noch sagen wollte, begann da das junge Mädchen, ich sehe ja deine Zeitung nicht. Hat sie der Briefträger nicht gebracht?
– O doch, mein Kind. Ich begegnete ihm heut Abend bei meiner Rückkehr, als er gerade vor unserem Hause ankam, und da hat er mir das Blatt übergeben.
– Ein Brief war nicht dabei? fragte Ilka.
– Nein, liebes Kind, er hatte keinen.«
So war es auch seit vier langen Jahren alle Tage: Es traf niemals ein Brief ein, wenigstens kein Brief aus Sibirien, keiner, auf dem Ilka die Schriftzüge Wladimir Yanofs hätte mit ihren Tränen benetzen können.
»Gute Nacht, Vater, sagte sie.
– Gute Nacht, mein Kind!«
Viertes Kapitel.
Im Postwagen.
Zu jener Zeit gab es nur zwei Beförderungsmittel für die endlosen Ebenen der baltischen Provinzen, wenigstens wenn der Reisende sich nicht begnügen wollte, diese als Fußgänger oder als Reiter zu durchmessen. Von Eisenbahnen bestand erst eine: die, die sich an der Küste von Esthland und weiter um den finnischen Meerbusen hinzog. Reval hatte damit eine bequeme Verbindung mit St. Petersburg, die beiden Hauptstädte Kurlands und Livlands, Riga und Mitau, aber waren noch durch keinen Schienenstrang mit der Metropole des russischen Reiches verbunden.
Die Post oder eine Telega, eine andere Fahrgelegenheit stand den Reisenden nicht zur Verfügung.
Die Telega ist bekanntlich ein niedriges Gefährt, mehr ein Karren ohne metallene Verbindung, dessen Einzelteile nur durch Stricke zusammengehalten werden. Als Sitz dient ein mit Rindenstücken gefüllter Sack oder einfach das eigene Gepäck des Insassen, der sich selbst noch mit einem Riemen festschnallen muß, um die Stöße auf den unebenen Straßen ungefährdet auszuhalten.
Die Post – ähnlich der Kibitka – ist etwas besser, kein Karren, sondern mehr ein Wagen, der an Bequemlichkeit zwar noch viel zu wünschen übrig läßt, worin man aber wenigstens gegen Wind und Regen geschützt ist. Dieser Postwagen enthält vier Sitzplätze, und der, der damals zwischen Riga und Reval verkehrte, wurde in der Woche nur zweimal abgefertigt.
Im Winter konnte natürlich weder die Post, noch eine Telega oder ein anderer Wagen die übereisten Wege befahren. Man ersetzte diese dann – entschieden eine Verbesserung – durch den »Perklwsnoio«, eine Art schwerfälligen Schlittens, den sein Gespann schnell über die weißen Steppen der baltischen Provinzen beförderte.
Am heutigen Morgen – am 13. April – erwartete der nach Reval abzulassende Postwagen nur einen einzigen Passagier, der seinen Platz am Tage vorher bestellt hatte. Zur Abfahrtsstunde stellte er sich ein: ein Mann etwa von fünfzig Jahren, von gutem Aussehen, heiterem Gesicht und lächelndem Munde. Mit einem dicken Regenmantel über seinem Rocke aus grobem Tuch warm
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