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Ein Drama in Livland

Ein Drama in Livland

Titel: Ein Drama in Livland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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in Mitau oder Dorpat bedeutende Summen zu überbringen, die mit der Briefpost besorgen zu lassen unklug gewesen wäre. Diesmal enthielt seine Mappe fünfzehntausend Rubel Staatsbankscheine, jeden – nach unserem Gelde – im Betrage von achtzig Reichsmark, in einem Bündel von vierhundert Scheinen, das in der Briefmappe sorgfältig eingeschlossen war. Nach Ablieferung dieser Summe an den Geschäftsfreund in Reval sollte er sofort nach Riga zurückkehren.
    Er hatte auch Grund genug, bald wieder heimzukommen. Warum, das wird sich aus seinem Gespräche mit Broks ergeben.
    Mit auseinander gehaltenen Armen, wie die russischen Rosselenker die Zügel zu führen pflegen, trieb der Jemschik seine Pferde zu raschem Laufe an. Er fuhr durch die nördliche Vorstadt und lenkte dann auf die große, zunächst durch Feldstücke verlaufende Landstraße ein. In der Umgebung Rigas gibt es nämlich viele gut bewirtschaftete Äcker, und hier sollte die erste Frühlingsarbeit nun bald beginnen. Schon zehn oder zwölf Werst von da irrte der Blick jedoch über eine endlose Steppe, deren eintönige Fläche – abgesehen von vereinzelten, leichten, in den baltischen Provinzen aber seltenen Bodenerhebungen – nur durch dunkelgrüne Waldmassen unterbrochen wird.
    Wie Broks schon bemerkt hatte, sah der Himmel recht wenig vertrauenerweckend aus. Unter häufigen, besonders starken Windstößen wurde der Sturm um so ärger, je mehr die Sonne über den Horizont hinaufstieg. Zum Glück kam er aber aus Südwesten.
    Ungefähr von zwanzig zu zwanzig Wersten fand an gewissen Stellen ein Wechsel der Pferde statt und traten andere Postillone zu deren Führung ein. Diese zweckmäßige Einrichtung sicherte den Reisenden ein regelrechtes und im ganzen ziemlich schnelles Fortkommen.
    Gleich von der Abfahrt an überzeugte sich Poch, daß er mit seinem Reisegenossen in keine zusammenhängende Unterhaltung kommen könnte. In seine Ecke gedrückt, den Kopf mit der Kapuze verhüllt, so daß kaum etwas von seinem Gesicht zu sehen blieb, schlief dieser entweder wirklich oder stellte er sich doch so.
    Der Bankbeamte unterließ es auch nach mehreren vergeblichen Versuchen, noch einmal ein Gespräch mit dem Fremdling anzuknüpfen.
    Er plauderte aber gar zu gern, und so sah er sich denn gezwungen, seine Worte an Broks zu richten, der, geschützt durch eine lederne Kopfhülle, neben dem Jemschik auf dem Bocke saß. Ließ man das Schiebefenster in der Vorderwand des Wagens herunter, so war es leicht genug, von draußen und drinnen miteinander zu sprechen. Da der Schaffner mindestens ebenso gern plauderte wie der Bankbeamte, kamen beider Zungen nur sehr wenig in Ruhe.
    »Und du versicherst, Broks – es war schon das vierte Mal, daß diese Frage seit der Abfahrt an den draußen Sitzenden gerichtet wurde – du versicherst, daß wir morgen Abend in Reval eintreffen werden?
    – Jawohl, Poch; vorausgesetzt, daß uns das Wetter nicht gar zu sehr aufhält und vorzüglich nicht hindert, in der Nacht weiter zu fahren.
    – Und nach der Ankunft in Reval kehrt die Post binnen vierundzwanzig Stunden zurück?
    – Nach vierundzwanzig Stunden, antwortete Broks, laut Dienstvorschrift.
    – Und du selbst geleitest mich auch wieder nach Riga?
    – Ich selbst, Poch.
    – Beim heiligen Michel, ich möchte, ich wäre schon wieder zurück… natürlich mit dir!
    – Mit mir, Poch?… O, ich danke für deine Liebenswürdigkeit! Doch warum solche Eile?…
    – Weil ich dich zu etwas einzuladen wünsche, Broks.
    – Mich?
    – Ja, dich; eine Einladung, die dir hoffentlich genehm ist, wenn du es liebst, in guter Gesellschaft einmal ordentlich zu essen und zu trinken.
    – Ah, stieß Broks hervor, während er mit der Zunge über die Lippen strich, man müßte ja sein eigener Todfeind sein, so etwas nicht zu lieben!… Es handelt sich also wohl um eine Schmauserei?
    – Um mehr als das… um ein richtiges Hochzeitsmahl!
    – Wa… was?… Eine Hochzeit? rief der Schaffner verwundert. Und wie komme ich dazu, zu einem Hochzeitsmahle eingeladen zu werden?
    – O, sehr einfach: weil der Bräutigam dich persönlich kennt.
    – Der kennt mich?
    – Gewiß, und die Braut ebenfalls.
    – Na, wenns so ist, antwortete Broks, dann nehme ich die Einladung an, auch ohne zu wissen, wer die zukünftigen Eheleutchen sind.
    – Das sollst du sofort erfahren.
    – Halt! Ehe du mir’s mitteilst, Poch, laß mich dir erklären, daß es jedenfalls gute, brave Leute sind.
    – Das will ich meinen! Der Bräutigam bin

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