Ein Drama in Livland
Ergebnis der Besichtigung beschränkte sich auf die Risse an der Fensterbank und an der Außenseite der Mauer, doch gerade diese konnten ja noch von besonderer Wichtigkeit werden.
Die Besichtigung wurde mit einer Untersuchung der Kroffschen Wohn-und Schlafstube beschlossen, die in einem Anbau nach der Gartenseite lag. Die Polizisten untersuchten inzwischen die Baulichkeiten des Geflügelhofes und den Gemüsegarten bis zu der ihn umschließenden lebenden Hecke, die nirgends eine Unterbrechung zeigte. Es blieb demnach kein Zweifel übrig: der Mörder war von draußen gekommen und durch das nach der Landstraße liegende Fenster nach gewaltsamer Öffnung des Ladens in das Zimmer seines Opfers eingedrungen.
Der Richter Kerstorf begann nun die Befragung des Schenkwirts. Er setzte sich dazu an einen Tisch in der Gaststube und sein Aktuar nahm neben ihm Platz. Der Major Verder, der Doktor Hamine und Herr Johausen, die ja ein natürliches Interesse daran hatten, zu hören, was von Kroff zu erfahren wäre, standen in der Nähe, und Kroff wurde aufgefordert, zu Protokoll zu erklären, was er von dem Falle wüßte.
»Herr Richter, begann er bestimmten Tones, vorgestern Abend gegen acht Uhr kamen zwei Reisende in meine Schenke und verlangten Zimmer für die Nacht. Der eine der Reisenden hinkte ein wenig infolge einer Verletzung durch einen Wagenunfall: die Post war zweihundert Schritte von hier auf dem Wege nach Pernau umgestürzt.
– Das bezieht sich wohl auf Poch, den Angestellten der Firma Gebrüder Johausen?
– Ja; ich habe das Nähere von ihm selbst gehört, er erzählte mir den Vorgang: die Pferde waren bei dem schweren Sturme gestürzt und hatten dabei den Wagen umgeworfen. Ohne seine Verletzung am Beine hätte er sich mit dem Postschaffner noch zu Pferde nach Pernau begeben, und wollte Gott, daß er das getan hätte!… Was den Schaffner angeht, den ich an jenem Abend nicht gesehen habe, so sollte er am nächsten Morgen zurückkehren – wie er tatsächlich zurückgekommen ist – um Poch und dessen Reisegefährten abzuholen, sobald der Wagen wieder instand gesetzt wäre.
– Poch hat sich wohl nicht darüber geäußert, was er in Reval vorhatte? fragte der Richter.
– Nein; er bat mich, ihm ein Abendbrot aufzutragen, und aß dann mit großem Appetit. Es mochte etwa neun Uhr sein, als er sich in das für ihn bestimmte Zimmer zurückzog, dessen Tür er von innen mit Schlüssel und Riegel abschloß.
– Und der andere Reisende?..
– Der andere?… Der verlangte nur ein Zimmer, wollte aber nicht erst wie Poch noch zu Abend essen. Als er sich zurückzog, sagte er mir noch, daß er die Rückkehr des Schaffners nicht abwarten und am nächsten Morgen schon früh vier Uhr aufbrechen werde.
– Sie haben auch nicht erfahren, wer der Mann war?
– Nein, Herr Richter; und der arme Poch wußte das ebensowenig. Als er aß, erzählte er mir von seinem Reisegenossen, der unterwegs keine zehn Worte gesprochen hätte und jeder Unterhaltung ausgewichen wäre. Dabei hätte er stets die Kapuze über den Kopf gezogen gehabt, so wie einer, der unerkannt zu bleiben wünscht. Auch ich habe sein Gesicht eigentlich nicht gesehen und könnte unmöglich ein Signalement von ihm abgeben.
– Befanden sich noch andere Personen im »Umgebrochenen Kreuze«, als die beiden Reisenden dahin kamen?
– Ja, ein halbes Dutzend Bauern und Holzfäller aus der Nachbarschaft, und auch der Polizeibrigadier Eck mit einem seiner Leute…
– Ah, bemerkte da Herr Johausen, der Brigadier Eck!… War denn Poch diesem nicht bekannt? –
– O gewiß; beide haben während des Essens miteinander geplaudert.
– Und später sind alle Gäste fortgegangen?…
– Ja… so gegen halb neun Uhr, antwortete Kroff. Ich habe gleich darauf die Tür zur Gaststube mit dem Schlüssel abgeschlossen und inwendig auch die Sparren vorgelegt.
– Von außen konnte man die Tür also nicht öffnen?
– Nein, Herr Richter.
– Auch nicht von innen, wenn man den Schlüssel nicht hatte?
– Ebensowenig.
– Und am Morgen haben Sie sie in unverändertem Zustande gefunden?
– Völlig unverändert. Es war ziemlich genau vier Uhr, als der Reisende aus seiner Stube trat. Ich habe ihm mit der Laterne geleuchtet. Er bezahlte mir, was er schuldete, einen Rubel. Dabei war er eingepackt, wie am Abend vorher, so daß ich sein Gesicht nicht erkennen konnte. Endlich hab’ ich ihm die Tür geöffnet und sie hinter ihm wieder sorgfältig verschlossen.
– Wohin er ging, hat er
Weitere Kostenlose Bücher