Ein Drama in Livland
nicht gesagt?
– Nein, nicht ein Wort davon.
– Und in der Nacht ist Ihnen kein verdächtiges Geräusch aufgefallen?
– Nicht das geringste.
– Ihrer Ansicht nach, Kroff, fragte der Richter, müßte das Verbrechen wohl schon begangen worden sein, bevor der Unbekannte die Schenke verließ?
– Das glaub’ ich wenigstens.
– Was haben Sie denn nach dem Weggange des Fremden getan?
– Ich?… Da ging ich in meine Stube und warf mich noch einmal aufs Bett, den Tag abzuwarten; ich glaube aber nicht wieder eingeschlafen zu sein.
– Dann hätten Sie es also zwischen vier und sechs Uhr jedenfalls gehört, wenn in dem Zimmer Pochs ein Geräusch entstanden wäre?
– Ohne Zweifel, schon weil meine Stube, obwohl sie nach dem Garten hinaus liegt, unmittelbar an die seinige stößt, und wäre es zu einem Handgemenge zwischen Poch und dem Mörder gekommen…
– Ja ja, fiel der Major Verder ein, es hat aber kein Kampf stattgefunden, denn der Unglückliche ist in seinem Bette überfallen und durch einen Stoß, der das Herz getroffen hat, augenblicklich getötet worden.«
So war ja der Sachverhalt, und alles ließ darauf schließen, daß die Untat vor dem Weggange des anderen Reisenden ausgeführt worden war. Eine zweifellose Gewißheit hatte man dafür freilich nicht, denn zwischen vier und fünf Uhr morgens war es noch sehr finster, der Sturm wütete damals mit großer Heftigkeit, die Landstraße war menschenleer, und ein Ubeltäter hätte unter diesen Umständen durch Einbruch recht wohl unbemerkt in die Schenke eindringen können.
Kroff beantwortete ohne Zögern und mit aller Bestimmtheit auch alle weiteren Fragen, die der Kriminalbeamte an ihn richtete. Offenbar lag ihm der Gedanke ganz fern, daß sich ein Verdacht auch auf ihn lenken könnte, war es doch zuverlässig festgestellt, daß der von draußen gekommene Mordbube den Laden aufgesprengt, die Scheibe zertrümmert und das Fenster geöffnet hatte. Nach Verübung des Verbrechens war er, das stand ebenso unumstößlich fest mit den fünfzehntausend Rubeln durch dasselbe Fenster entwichen.
Kroff schilderte nun, wie er die Mordtat entdeckt habe. Gegen sieben Uhr aufgestanden, hatte er in der Gaststube aufgeräumt, bis der Schaffner Broks, der es dem Stellmacher und dem Jemschik überlassen hatte, den Wagen auszubessern, in der Schenke erschien. Beide hatten jetzt Poch wecken wollen… keine Antwort auf ihr Rufen, nichts regte sich im Zimmer, als sie stark an die Tür klopften, deshalb hatten sie diese gewaltsam geöffnet und sahen sich da… einer Leiche gegenüber.
»Sie sind Ihrer Sache sicher, fragte der Richter Kerstorf, daß in diesem Augenblick an dem Unglücklichen kein Lebenszeichen mehr zu bemerken war?
– Auch nicht das geringste, Herr Richter, versicherte Kroff, der trotz der Rauheit seiner Natur sichtlich ergriffen schien. Nein… nicht das geringste Zeichen! Broks und ich, wir haben getan, was wir konnten, ihn wieder ins Leben zurückzurufen… alles vergeblich!… Bedenken Sie nur, ein solcher Messerstich mitten ins Herz!
– Die Waffe, deren sich der Mörder bedient hat, haben Sie nicht gefunden?
– Nein, Herr Richter, dem wird daran gelegen gewesen sein, sie mitzunehmen.
– Und Sie erklären mit Bestimmtheit, forschte der Beamte weiter, daß das Zimmer Pochs von innen verschlossen gewesen ist?
– Jawohl, mit dem Schlüssel und dem Riegel, versicherte Kroff. Der Schaffner Broks kann das ebensogut bezeugen. Eben deshalb waren wir ja genötigt, die Tür zu erbrechen.
– Broks ist dann gleich fortgegangen?
– Ja, Herr Richter, in aller Eile. Er wollte schnellstens nach Pernau zurückkehren, um die Polizei zu benachrichtigen, die daraufhin auch sogleich zwei Mann hierhergeschickt hat.
– Broks ist dann nicht wiedergekommen?
– Nein, doch wird er sich noch heute Morgen einstellen, da er voraussetzt, in der Sache vernommen zu werden.
– Gut… gut, sagte Herr Kerstorf, Sie können jetzt gehen, doch verlassen Sie die Schenke nicht und halten Sie sich uns jede Minute zur Verfügung.
– Ich werde hier bleiben.«
Schon beim Beginn dieses Verhörs hatte Kroff seinen Vor-und Familiennamen, ferner Alter und Stand angegeben, was der Aktuar niederschrieb, denn wahrscheinlich wurde der Schenkwirt im Verlaufe der Untersuchung noch einmal vor Gericht gerufen.
Inzwischen war dem Kriminalbeamten gemeldet worden, daß der Schaffner Broks im »Umgebrochenen Kreuze« eingetroffen sei. Das war der zweite Zeuge, und seine Aussage war ja ebenso
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