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Ein Drama in Livland

Ein Drama in Livland

Titel: Ein Drama in Livland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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trotz seines ernsten Gesichtsausdruckes, der den eifrigen Studenten, welcher seine Zukunft im Auge hatte, untrüglich erkennen ließ.
     

    Gospodin überließ sich seiner aufbrausenden Hitze. (S. 114.)
     
    Jean Nicolef vollendete eben sein zweites Jahr an der Universität. Man hätte ihn schon an der auffallenden Ähnlichkeit mit seiner Schwester Ilka erkannt. Beide waren ernste, überlegende Naturen von tiefem Pflichtgefühl, das bei dem jungen Manne vielleicht gar zu sehr entwickelt war. Das erklärte es aber, daß er durch den Eifer, womit er seine slawischen Ideen verfocht, auf seine Kameraden eine gewisse Macht ausübte.
    Sein Kamerad Gospodin entstammte einer reichen esthnischen Familie in Reval. Obwohl er ein Jahr älter war als Jean Nicolef, zeigte er sich in seinen Handlungen doch weniger ernst. Im übrigen eine Persönlichkeit mit mehr Neigung zum Angriff als zur Abwehr, etwas vergnügungssüchtig und Liebhaber von Sportübungen; doch begabt mit vortrefflichem Herzen, gehörte er zu denen, auf die Jean rechnen konnte, denn er empfand für diesen eine aufrichtige Freundschaft, die ihn zu jedem Opfer befähigte.
    Wovon hätten die jungen Leute miteinander sprechen sollen, wenn nicht von den Vorbereitungen zu jener Festlichkeit, die alle Korporationen der Universität so tief erregte?
    Wie gewöhnlich überließ sich Gospodin schon seiner aufbrausenden Hitze, seinem Ungestüm, das Jean sich vergeblich zu bemeistern bemühte.
    »Jawohl, rief er, sie haben sich verschworen, uns von ihrem Festmahl auszuschließen, die hochnasigen Deutschen! Unsere Beiträge haben sie abgelehnt, damit wir nicht berechtigt wären, daran teilzunehmen! Sie tun, als müßten sie sich schämen, mit uns anzustoßen!… Nun, es wird sich ja alles finden, vielleicht geht ihr Schmaus noch vor dem Nachtisch zu Ende!
    – Ja, ein unwürdiges Verhalten, das geb’ ich zu, antwortete Jean, doch ist das der Mühe wert, etwa gar Streit zu suchen? Sie bestehen darauf, für sich zu tafeln, lass’ sie das also! Wir veranstalten einfach für uns eine Feier, und werden dabei unsere Becher zu Ehren der Hochschule nicht weniger fröhlich leeren!«
    Das wollte dem ungestümen Gospodin freilich nicht in den Sinn. Die Sache hinzunehmen, wie sie eben lag, das wäre ein schimpflicher Rückzug, und er erhitzte sich durch die eigenen Worte nur noch weiter.
    »Hast ja recht, Jean, erwiderte er, du bist einmal der verkörperte gesunde Menschenverstand, und es bezweifelt auch keiner, daß du nicht ebensoviel Mut wie Verstand hättest. Ich aber, ich bin einmal nicht so grundvernünftig und mag’s auch gar nicht sein! Meiner Ansicht nach ist das Benehmen Karl Johausens und seiner Mitläufer gegen uns eine Beleidigung, und das ertrag’ ich nicht lange!
    – Laß doch den Karl, diesen Deutschen, in Ruhe, Gospodin, antwortete Jean Nicolef ermahnend, und rege dich weder über seine Handlungen noch über seine Worte auf. Binnen wenigen Monaten werdet ihr beide die Universität verlassen haben, und es ist doch sehr unwahrscheinlich, daß ihr euch im Leben jemals wieder begegnen solltet, wenigstens nicht unter Verhältnissen, bei denen die Frage nach der Abkunft und der Rasse eine Rolle spielte…
    – Das ist wohl möglich, weiser Nestor, entgegnete Gospodin, und es ist auch schön, so sehr Herr über sich zu sein, wie du. Ich würde aber untröstlich sein, von hier fortzugehen, ohne dem Karl Johausen noch die Lektion erteilt zu haben, die er mit Recht verdient!
    – Nun wohl, sagte Jean Nicolef, setzen wir uns aber wenigstens heute nicht zuerst dadurch ins Unrecht, daß wir ihn grundlos herausfordern.
    – Grundlos? rief der aufgebrachte junge Mann. Ich habe tausend und abertausend Gründe dazu: sein Gesicht, das mich verfolgt, sein Auftreten, das mich verletzt, der Ton seiner Stimme, der mir mißfällt, sein verächtlicher Blick, die Überhebung, die er zur Schau trägt und in der seine Kommilitonen ihn bestärken, indem sie ihn stillschweigend als ihren Führer, ihren Vorsitzenden anerkennen!
    – Alles das ist nicht von Bedeutung, Gospodin, widersprach ihm Jean Nicolef, der wie zur Beschwichtigung den Arm seines Freundes ergriff. Solange keine unmittelbare Beleidigung erfolgt, sehe ich in alledem keine Veranlassung zu einer Herausforderung. Ja, wenn er sich zu einer solchen verleiten ließe, dann lieber Freund, würde ich nicht erst warten, bis ein anderer darauf antwortete, das kannst du glauben!
    – Und uns würdest du an deiner Seite finden, Jean,

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