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Ein Drama in Livland

Ein Drama in Livland

Titel: Ein Drama in Livland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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versicherten die anderen jungen Leute der Gruppe.
    – Das weiß ich, antwortete der unbeugsame Gospodin. Ich wundere mich nur darüber, daß Jean nicht bemerken sollte, daß jener Karl es besonders auf ihn abgesehen hat.
    – Was willst du damit sagen, Gospodin?
    – Nichts anderes als: wenn wir andern mit diesen Deutschen nur sozusagen Schulreibereien auszutragen haben, so liegt die Sache zwischen Jean Nicolef und Karl Johausen doch wesentlich anders!«
    Jean verstand, worauf Gospodin anspielte. Der Wettstreit zwischen der Partei Johausens und der Nicolefs in Riga war auch den Besuchern der Universität nicht unbekannt geblieben. Alle wußten, daß die Häupter beider Familien in dem Rassenkampfe, der wegen der städtischen Wahlen bald ausbrechen mußte, einander gegenüberstanden, wobei der eine von der öffentlichen Meinung auf den Schild erhoben war und von der Verwaltungsbehörde unterstützt wurde, um den Gegner zu besiegen. Gospodin tat gewiß unrecht daran, diese persönlichen Verhältnisse seines Kameraden zu berühren, um den Wettbewerb der Väter auch auf deren Söhne auszudehnen. Wenn der Ingrimm aber einmal in ihm erwacht war, ließ er sich davon fortreißen und schoß leicht über jedes Ziel hinaus.
    Jean hatte jedoch keine Silbe geantwortet. Er erblaßte nur, als wenn ihm das Blut zum Herzen zurückgeflutet wäre, doch blieb ihm Kraft genug, sich zu bezwingen, und er warf nur einen grimmigen Blick nach dem anderen Teile des Hofes, wo die Gesellschaft Karl Johausens paradierte.
    »Davon laß uns schweigen, Gospodin, sagte er mit ernster, leicht zitternder Stimme. Ich habe bei unserem Gespräch den Namen des Herrn Johausen niemals erwähnt, und Gott gebe, daß Karl sich bezüglich meines Vaters ebenso taktvoll zurückhaltend erwiesen habe, wie ich mich bezüglich des seinigen! Wenn er das freilich außer acht ließe…
    – Jawohl, Jean hat recht, erklärte einer der anderen Studenten, und Gospodin hat unrecht! Uns kommt es nicht zu, uns mit dem, was in Riga vorgeht, zu beschäftigen, sondern nur mit dem, was in Dorpat geschieht.
    – Sehr richtig, stimmte ihm Jean Nicolef zu, der das Gespräch wieder auf das ursprüngliche Thema zurückzulenken wünschte. Mindestens wollen wir uns vor jeder Übertreibung hüten und zusehen, welchen Lauf die Dinge nehmen werden.
    – Du meinst also, Jean, fragte der Student, wir sollen keinen Einspruch erheben gegen das Verhalten Karl Johausens und seiner Kameraden, die uns von der heutigen Festlichkeit ausgeschlossen haben?…
    – Meiner Ansicht nach tun wir, wenn keine besonderen Zwischenfälle eintreten, am besten, der Sachlage gegenüber die möglichste Gleichgültigkeit zu bewahren.
    – Oho… Gleichgültigkeit! antwortete Gospodin, der abwehrend den Kopf schüttelte. Erst wollen wir einmal sehen, ob auch unsere Kameraden damit einverstanden sind. Ich denke aber, sie werden wütend werden, Jean, das sage ich dir im voraus…
    – Wenn du sie aufwiegelst, Gospodin.
    – Nein, Jean; jedenfalls genügt schon ein verächtlicher Blick, ein unbedachtes, aufreizendes Wort, den Funken ins Pulverfaß zu werfen.
    – Na, schön! rief Jean Nicolef lächelnd. Das Pulver wird aber nicht explodieren, lieber Freund, denn wir werden Sorge tragen, es mit Champagner feucht zu halten!«
    Es war die gesunde Vernunft, die dem weisesten der jungen Brauseköpfe diese Antwort eingab. Den anderen stieg freilich schon das Blut zu Kopfe, und es war unentschieden, ob sie einem verständigen Rate noch folgen würden, ebenso, welcher Ausgang dem heutigen Tage beschieden sein werde. Gerade die Festfeier konnte ja noch Veranlassung zu ernsten Reibereien geben, und wenn diese nicht von slawischer Seite ausging, dann geschah es vielleicht von deutscher Seite. Jedenfalls lag eine solche Befürchtung nahe.
    Kein Wunder, daß sich bei dieser Lage der Dinge auch der Rektor der Universität ernstlich beunruhigt fühlte, wußte er doch recht gut, daß politische oder wenigstens Rassenstreitigkeiten zwischen Slawen und Germanen unter den Studenten jeden Augenblick auszubrechen drohten. Die große Mehrheit trat dafür ein, die Universität den alten Überlieferungen getreu zu erhalten, die sie von ihrer Gründung an bewahrt hatte. Die Regierung wußte gar wohl, daß ihr bei allen Versuchen zur Russifizierung, die den baltischen Provinzen bevorstand, ein ernsthafter Widerstand entgegengesetzt werden würde, und welche Folgen aus den damit ohne Zweifel einhergehenden Wirren und Unruhen entstehen könnten,

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