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Ein Drama in Livland

Ein Drama in Livland

Titel: Ein Drama in Livland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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das konnte niemand vorhersagen. Hier galt es also, vorsichtig zu sein. Trotz des ehrwürdigen Alters der Dorpater Universität war diese aber doch nicht gegen einen kaiserlichen Ukas gefeit, wenn sie sich zum Mittelpunkte des Widerstandes und der Agitation gegen die pauslawistische Bewegung ausbildete. Der Rektor achtete deshalb genau auf die Stimmung unter der Studentenschaft. Die Professoren sorgten sich, obwohl sie im Grunde auf deutscher Seite standen, darum auch nicht wenig, denn niemand konnte ja wissen, wie weit sich die leichtentzündliche Jugend hinreißen lassen würde, wenn es sich um politische Streitigkeiten handelte.
    Heute hatte jedenfalls einer mehr Einfluß als der Rektor: das war Jean Nicoles.
    Hatte es der Rektor nicht durchsetzen können, daß Karl Johausen und seine Anhänger darauf verzichteten, Nicolef und dessen Freunde von dem Bankett auszuschließen, so vermochte dieser wenigstens, Gospodin und die anderen zu bestimmen, daß sie die Festlichkeit nicht stören würden. Jedenfalls sollte keiner etwa in den Saal einzudringen suchen, und ebensowenig wollte man deutsche Lieder mit russischen Gesängen beantworten… natürlich unter dem Vorbehalt, nicht ganz besonders herausgefordert zu werden. Wer konnte aber für die, vielleicht durch Wein erhitzten Gemüter einstehen? Jean Nicolef und seine Kameraden wollten sich draußen im Freien versammeln, das Jubelfest nach ihrer Art zu feiern und sie wollten sich ruhig verhalten, wenn es niemand unternahm, ihre Ruhe zu stören.
    Inzwischen verstrichen mehrere Stunden. Auf dem großen Hofe der Universität sammelten sich immer mehr Studenten an. Die Vorträge waren für diesen Tag ausgesetzt, so daß die jungen Leute nichts anderes zu tun hatten, als gruppenweise umherzuwandeln, einander scharf zu beobachten oder auch auszuweichen. Immer war zu befürchten, daß ein Zwischenfall noch vor der Stunde des Banketts eine Reiberei und daraus einen allgemein aufflammenden Streit hervorrufen könnte. Vielleicht wäre es besser gewesen, die geplante festliche Veranstaltung von vornherein zu untersagen, anderseits aber hätte ein solches Verbot die Korporationen wahrscheinlich nur destomehr erregt und den Vorwand zu Unruhen geliefert, die man ja gerade verhüten wollte. Eine Universität ist nun einmal keine Kinderschule, wo man sich mit Nachsitzenlassen und Strafarbeiten helfen kann. Hier hätte man zur Ausschließung, zur Relegierung der Rädelsführer greifen müssen, und das wäre doch eine vielleicht gar zu ernste Maßregel gewesen.
    Bis zur Stunde des Banketts – vier Uhr Nachmittag – wichen Karl Johausen, Siegfried und ihre Freunde nicht vom Hofe. Die meisten Studenten wechselten einige Worte mit ihnen, so als wollten sie sich von ihnen Verhaltungsvorschriften holen. Auch schwirrte das Gerücht umher, das Bankett sei verboten, übrigens ein unbegründetes Gerücht, denn ein solches Verbot hätte, wie schon erwähnt, den Ausbruch von Feindseligkeiten eher noch beschleunigen müssen. Immerhin hatte es schon genügt, die Ansammlung der Studenten zu verstärken.
    Jean Nicolef und seine Kameraden ließen sich durch diese Lage der Dinge nicht weiter erregen. Sie lustwandelten mehr auf einer Seite, wie sie das von jeher gewohnt waren, und kreuzten dabei nur gelegentlich andere Gruppen von Studenten.
    Man fixierte dann einander. Die Blicke vermittelten Herausforderungen, die vorläufig noch nicht über die Lippen kamen. Jean selbst blieb ruhig und zeigte eine unerschütterte Gleichgültigkeit, dagegen kostete es ihm die größte Mühe, Gospodin im Zaume zu halten. Dieser wendete, nicht einmal als Zeichen der Mißachtung, nie den Kopf von den anderen ab und schlug auch nicht die Augen nieder. Spitz wie eine Degenklinge bohrte sich sein Blick in die Augen Karl Johausens. Schon diese Haltung genügte ja fast allein, einen Wortwechsel zu veranlassen, der dann jedenfalls nicht auf die beiden Gegner beschränkt geblieben wäre.
    Endlich läutete es als Zeichen zum Beginn des Banketts. Karl Johausen begab sich, seinen Kameraden – mehreren Hunderten an Zahl – vorausgehend, nach dem großen Saale des Amphitheaters der Universität, der zu der Feier bewilligt worden war.
    Bald befanden sich auf dem Hofe davor nur noch Jean Nicolef, Gospodin und etwa fünfzig slawische Studenten, die nur darauf warteten, das Gebiet der Universität zu verlassen, um zu ihren Familien oder zu Bekannten zurückzukehren.
    Da sie nichts zurückhielt, hätten sie wohl am besten getan, jetzt

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