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Ein dunkler Gesang

Ein dunkler Gesang

Titel: Ein dunkler Gesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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und geschrien und … und geweint und du … du verfluchte Drecksau …»
    Tim taumelte schluchzend auf Louis zu, und Louis schoss zweimal.

62 Siebzehn
    «Ich begab mich zur Ruhe», sagte Tim. «Nun bin ich erfrischt.»
    Er versuchte zu lachen. Ein trockener, zittriger Laut kam aus seiner Kehle.
    Merrily erkannte vage die ersten Worte, die die Seele nach dem Tod im
Traum des Gerontius
singt.
    «Ich fühle mich so viel leichter», sagte er. «Das ist gut, oder?»
    «Ja», sagte Merrily. «Das ist sehr gut.»
    Die Zeit schien sich verlangsamt zu haben. Die weißen Wolken waren kleiner geworden. Eine leichte Nachtbrise fuhr durchs Geäst.
    Tim sagte: «Sie sind unheimlich hübsch. Ich wusste … wusste nicht, dass Sie so jung sind. So, wie Winnie geredet hat …» Er hielt inne, um einzuatmen. «Aber es ist egal, was Winnie gesagt hat, oder?»
    «Das glaube ich auch.»
    Sie hatte einen Krankenwagen gerufen und behauptet, sie hätte einen Schwerverletzten gefunden, wüsste aber nicht, was passiert sei. Dazu hatte ihr Syd geraten. Was sie ganz bestimmt nicht brauchen konnten, war eine bewaffnete Eingreiftruppe.
    Lol hatte Heu aus der Scheune gebracht, und sie lagerten Tims Beine höher. Auch ein Rat von Syd.
    Nun kam er zu ihnen herüber.
    «Beide weg?», sagte Merrily.
    «Ich konnte nichts dagegen tun. Vielleicht haben sie ja für so einen Fall irgendwelche Vorbereitungen getroffen, haben irgendwo an der Küste ein Boot liegen, oder so.»
    Syd hatte bei der Polizei von West-Mercia angerufen, aber den Eindruck gehabt, dass sie über den Mord an Winnie schon Bescheid wussten. Jedenfalls hatten sie ihn gefragt, ob er derjenige war, der eine Nachricht auf Malcolm France’ Sprachbox hinterlassen hatte.
    Merrily flüsterte Syd zu: «Es ist kaum Blut zu sehen.»
    «Dann hat er innere Verletzungen. Halten Sie ihn warm. Und bewegen Sie ihn nicht.»
    Merrilys Kopf war erfüllt von einem Gebet, für das sie keine Worte fand.
    Tim Loste sah zu ihr auf. Sein Gesicht glänzte vor Schweiß.
    «Hannah ist hübsch.»
    «Ja, das ist sie.»
    «Ich habe immer Ausschau gehalten, ob sie vorbeikommt. Auf ihrem Fahrrad. Ich wünschte ich hätte auch ein Rad gehabt. Dann wäre ich ihr gefolgt. Wir wären zusammen den Hügel runtergerast. Super.»
    «Hmm.»
    «Das war eigentlich alles, was ich je wollte, wirklich. Ich habe gedacht, ich kaufe mir ein Fahrrad, aber … Winnie meinte, es wäre die falsche Art.»
    «Nicht wie Mr. Phoebus.»
    «Nein.»
    «Aber manchmal sind Sie doch mit Mr. Phoebus gefahren, oder? In Ihren … Tagträumen?»
    Mit Hannah.
    In Tims Augen spiegelte sich das Mondlicht.
    «Wissen Sie, was ich nicht will?»
    Merrily beugte sich näher zu ihm. Sein Atem roch sauer.
    «Wissen Sie, was ich
wirklich
nicht will? Wo ist Dan?»
    «Ich bin hier.»
    Lol kniete auf Tims anderer Seite.
    «Dan weiß es.»
    «Was war es noch mal?», sagte Lol.
    Tim lächelte unter seinem breiten Edward-Elgar-Schnurrbart.
    «Ich will keinen Engel der Qualen.»
    Plötzlich begann Tim um Atem zu ringen, und Syd lagerte seine Beine noch etwas höher. «So wird das Herz entlastet», sagte er.
    In einiger Entfernung fiel ein einzelner Schuss. Das war nicht ungewöhnlich, nur dass es garantiert kein Flintenschuss gewesen war. Merrily wechselte einen Blick mit Syd.
    Tim murmelte Lol etwas zu, der den Kopf schüttelte.
    «Nein, Sie haben nicht versagt. Winnie hat versagt, das ist alles. Für jemanden wie Winnie konnte es ohnehin nicht klappen.»
    Natürlich nicht. Winnie mit ihrer Intellektuellen-Magie, ihrer Versuch-und-Irrtum-Methode, ihrer Potpourri-Spiritualität. Auf einmal wurde Merrily die ganze Abgebrühtheit klar, die Winnie an den Tag gelegt hatte. Ganz gleich, was Tim zugestoßen wäre, Winnie hätte ein Buch daraus gemacht. Und ein noch größerer Erfolg wäre das Buch geworden, wenn Tim tot gewesen wäre.
    «Man hätte bloß den Schluss umschreiben müssen», sagte Lol. «Das ist einfach.»
    «Sieben», sagte Tim.
    «Sieben?»
    Lol schaute Merrily an, als Tim noch etwas sagte. Sie schüttelte den Kopf.
    «Hieß das … siebzehn?»
    Lol dachte einen Moment nach. Dann lächelte er.
    Tims Augen strahlten auf, dann breitete sich vom Rand der Pupillen her ein friedlicher Schimmer aus.
    Da erklang im Wald ein zweiter Schuss.
    Aus einer anderen Richtung tönten die Sirenen mehrerer Einsatzwagen. Merrily nahm Tim Lostes Hand in ihre und begann zu beten.

63 Eine List
    «Merrily», sagte Bliss ruhig am Handy. «Bevor Sie irgendetwas sagen: Ich

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