Ein dunkler Ort
Tür zum Büro stand jetzt offen. Madam redete drinnen gerade mit einem zarten, rothaarigen Mädchen.
Sie drehte sich um, als Kit an der Tür vorüber ging und sagte: »Hier ist jetzt eine unserer Schülerinnen. Kathryn, meine Liebe, komm her, ich möchte dir Sandra Mason vorstellen.«
»Hallo«, sagte Kit, die froh war, endlich ein anderes Mädchen zu sehen.
»Hi.« Das Mädchen mit den leuchtenden Haaren lächelte schüchtern. Sie hatte ein schmales Elfengesicht und eine Stupsnase voller Sommersprossen.
»Sandra ist mit dem Bus gekommen«, erklärte Madame Duret. »Professor Farley hat sie im Dorf abgeholt und sie nach Blackwood gefahren. Würdest du sie nach oben begleiten, Kathryn? Sie bekommt das Zimmer 211, das Eckzimmer am Ende des Ganges.«
»Das mach ich gern«, sagte Kit, die sich plötzlich total albern vorkam mit ihrem Toast in der Hand. Sie schaute sich um, wo sie ihn lassen konnte, fand keinen passenden Ablageort und beschloss das Beste aus der Situation zu machen. »Möchtest du was frühstücken?«
»Nein, danke«, sagte das Mädchen ernst. »Ich hab im Dorf gegessen.«
Kurz darauf, als sie Madame zurückgelassen hatten und die Treppe hoch stiegen, sagte sie aber: »Stimmt eigentlich nicht.«
»Was denn?«, fragte Kit.
»Ich hab mir Kaffee und einen Doughnut im Laden gekauft, aber ich konnte nichts runterkriegen. Ich war wohl zu aufgeregt. Schließlich war ich noch nie in einem Internat.«
»Ich auch nicht«, sagte Kit. »Ich bin gestern angekommen und auf so was war ich ganz bestimmt nicht gefasst.«
»Wie das Haus da am Ende der Auffahrt wartete … als ich das vom Auto aus gesehen habe, hab ich meinen Augen nicht getraut.«
»Wenn dich das schon umgehauen hat, dann musst du dir erst mal die Zimmer angucken.«
Zimmer 211 war mit Kits Zimmer identisch, abgesehen davon, dass es ein Eckzimmer war, das zur Auffahrt hinausging. Es war in Grün und Gold gehalten, statt in Rot, aber die geschnitzten Möbel, der weiche Teppich und die schweren Vorhänge waren wie die in Kits Zimmer.
Sandra staunte ebenso wie Kit am Tag zuvor. »Das ist so … anders!« Das Mädchen konnte es nicht fassen. »Das hätte man doch eigentlich in der Broschüre sehen müssen, aber irgendwie kam das nicht so rüber.«
»Stimmt genau«, sagte Kit. »Das ist wie in einem Palast. Gestern Nacht war ich die Einzige, die in diesem Trakt geschlafen hat, und ich hatte einen seltsamen Traum nach dem anderen. Hoffentlich gehören Albträume nicht zur Grundausstattung dieser Zimmer.«
»Das will ich hoffen. Ich hab nämlich keinen besonders tiefen Schlaf.« Das Mädchen lächelte nervös. »Übrigens, normalerweise bin ich Sandy. Kein Mensch nennt mich Sandra, nur Madame Duret.«
»Und ich bin auch nie Kathryn, sondern schlicht Kit. Weißt du, was komisch ist? Es ist bald Mittag und außer dir hab ich noch keinen gesehen. Findest du nicht auch, dass die anderen Schüler längst da sein müssten?«
»Irgendjemand ist gerade gekommen«, sagte Sandy. »Ich hör ein Auto, da draußen auf der Auffahrt.« Sie ging zum Fenster und schaute raus. »Zwei Mädchen, ein Mann. Das muss der Chauffeur sein, er trägt nämlich eine Uniform.«
»Aber keine Eltern?« Kit stellte sich neben sie. »Das ist doch irgendwie komisch, oder? Man sollte doch meinen, dass die Eltern sehen wollen, wie ihre Mädchen untergebracht sind und wie sie sich einleben und so.« Aber dann fiel ihr ein, was Madame über Sandys Ankunft gesagt hatte, und sie wurde ganz rot. Wie peinlich. »Tut mir leid. Ich hab nicht nachgedacht.«
»Schon gut«, sagte Sandy. »Meine Familie wollte mich herbringen, aber die Fahrt war so weit. Ich hab bei meinen Großeltern gewohnt. Sie ziehen jetzt in eine Wohnanlage, in der Teenager nicht aufgenommen werden, da schien es das Beste zu sein, dass ich ein Internat besuche und nur in den Ferien zu ihnen komme.«
»Meine Mutter hat gerade wieder geheiratet«, sagte Kit, die das Gefühl hatte, etwas zum Gespräch beisteuern zu müssen, um nicht unfreundlich zu erscheinen. »Sie und mein Stiefvater machen eine Hochzeitsreise nach Europa.« Sie beugte sich vor und sah sich die beiden Mädchen genauer an, die aus dem Auto geklettert waren und zuschauten, wie der Chauffeur ihre Sachen auslud. »Die Blonde ist aber hübsch. Ich wette, die schnappt uns Jules vor der Nase weg.«
»Jules?«, fragte Sandy verständnislos.
»Der Sohn von Madame Duret. Jung, dunkelhaarig und gutaussehend. Er wird uns Musikunterricht geben.«
»Da hat er sich
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