Ein dunkler Ort
aber was vorgenommen«, sagte Sandy. »Hast du viel unternommen bei dir zu Hause?«
»Wir waren immer in einer großen Gruppe unterwegs, auch mit Jungs. Aber ich hab keinen Freund zurückgelassen, wenn du das meinst. Und du?«
»Meine Großeltern sind altmodisch. Sie finden, dass Mädchen erst mit Jungs losziehen dürfen, wenn sie alt genug zum Heiraten sind.« Sandy seufzte. »Na, egal. Mich hat sowieso keiner gefragt.«
»Das kommt schon noch«, tröstete Kit.
»Kann schon sein.« Sandy drehte dem Fenster den Rücken und ging rüber zur Tür, die zum Flur führte.
Kurze Zeit später hörten sie Schritte auf der Treppe und aufgeregte Stimmen. »Die Zimmer 208 und 206 auf der linken Seite, meine Damen«, sagte Lucretia monoton.
»Ist ja irre! Das Fenster da hinten taucht alles in verschiedene Farben!« Das blonde Mädchen mit der hohen, feinen Stimme lief vor den anderen her.
»Oh, hi!«, sagte sie, als sie Kit und Sandy sah. »Bin ich froh, dass hier noch jemand ist. Ich dachte schon, wir wären am falschen Tag gekommen.«
»Wir freuen uns auch, euch zu sehen«, sagte Kit. »Ich bin Kit Gordy und das ist Sandy Mason.«
»Ich bin Lynda Hannah«, sagte das Mädchen, »und das ist Ruth Crowder. Wir kennen uns ja aus mit Internaten, aber so eine Schule haben wir noch nie gesehen! Das ist einfach der Wahnsinn!« Ihr feines Puppengesicht strahlte vor Aufregung und die hellen Haare umrahmten es wie ein Heiligenschein.
Als kleines, gedrungenes Mädchen mit glattem dunklem Schopf und Flaum auf der Oberlippe war Ruth das krasse Gegenteil von Lyndas Erscheinung. Die üppigen Brauen trafen an der Nasenwurzel zusammen und mit scharfem, wachsamem Blick spähte sie durch dicke Brillengläser.
Sie erwiderte Kits Begrüßung mit einem Kopfnicken und drehte sich um, um die Tür zu ihrem Zimmer aufzuschließen.
»Das kann ich nicht glauben!«, rief sie, als sie sah, wie der Raum eingerichtet war. »Komm und guck dir das mal an, Lynda!«
»Oh, ich will meins sehen!«, sagte das blonde Mädchen ganz aufgeregt. »Ob es wohl auch so ist?« Sie lief den Flur entlang zur nächsten Tür.
»Komm«, sagte Kit zu Sandy. »Wir schauen mal raus, wer als Nächstes kommt.«
Sie gingen wieder in Sandys Zimmer und stellten sich ans Fenster. Der Platz unten war leer. Sogar das Auto mit dem Chauffeur, der Ruth und Lynda gebracht hatte, war verschwunden. Flach und schnurgerade lief die Auffahrt von Hecken gesäumt auf den schwarzen Eisenzaun zu, dahinter reihten die Bäume sich dicht an dicht wie Wächter auf. Die Sonne stand hoch am Himmel und warf keine Schatten.
»Ich glaube, heute Nachmittag wird es hier ein unheimliches Gedrängel geben«, sagte Sandy. »Die Leute, die an einem Tag hier hochfahren wollen, werden ja erst später kommen. Aber ich hab mich schon gefragt, warum heute Morgen nicht noch andere Schüler im Bus waren. So viele Busse können es schließlich nicht sein, die ein kleines Dorf wie Blackwood Village anlaufen.«
»Irgendwie kommt mir das komisch vor«, sagte Kit. Sie schaute über die Auffahrt hinweg zum Zaun. Irgendwas war anders. Irgendwas hatte sich verändert, nachdem sie das letzte Mal aus diesem Fenster geschaut hatte.
»Sandy«, sagte sie langsam, »ich … ich glaube … es kommen keine anderen Schüler mehr.«
»Was?« Ihre neue Freundin sah sie ungläubig an. »Das meinst du nicht ernst? Vier Schüler? In so einem riesengroßen Kasten? Das ist doch ein Witz!«
»Witz oder nicht«, sagte Kit. »Ich glaube nicht, dass die sonst noch jemanden erwarten. Das Tor am Ende der Auffahrt ist geschlossen worden.«
»Ja, so ist es. Für unser erstes Studienjahr haben wir nur vier Schülerinnen angenommen.«
Madame Duret lächelte sie über den Esstisch hinweg an. Über der weißen Tischdecke flackerten die Kerzen und eine nicht spürbare Brise schien die Kristalltropfen des Lüsters in Schwingung zu versetzen und ihm ein leises Klingen zu entlocken, das wie Musik aus der Ferne klang. Sie waren gerade mit der Suppe fertig, und Natalie war noch nicht da gewesen, um die Teller abzuräumen.
»Es gab viele Bewerberinnen«, warf Professor Farley ein. »Das Problem war, dass die meisten davon unsere Anforderungen nicht erfüllen konnten.«
»Wollen Sie damit sagen, dass sie die Prüfungen nicht bestanden haben?« Kit war erstaunt. »Das versteh ich nicht. So schwer war das doch nicht. Ich hab bestanden und ich hab nie zu den Klassenbesten gehört.«
»Das gilt für euch alle, mit Ausnahme von Ruth.« Professor
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