Ein Earl mit Mut und Leidenschaft
entgegnete er. „Und ich hätte gedacht, Sie machen das die ganze Zeit.“
Sie sah ihn an.
„Wenn Sie einen Raum betreten“, sagte er leise, „verändert sich die Atmosphäre.“
Ihre Hand verharrte einen Zoll über seiner Schulter. Sie blickte ihn an - konnte nicht anders - und bemerkte das Begehren in seinem Blick. Er wollte sie. Er wollte, dass sie näherkam und ihre Lippen auf die seinen drückte. Es wäre so leicht, sie brauchte nur ein wenig das Gewicht zu verlagern. Sie könnte sich einreden, dass es keine Absicht gewesen sei. Dass sie einfach das Gleichgewicht verloren habe.
Aber sie wusste es besser. Das hier war nicht ihr Augenblick. Es war nicht ihre Welt. Er war ein Earl, und sie war ... Nun, sie war die, zu der sie sich gemacht hatte, und das war jemand, der keinen Umgang mit Earls pflegte, vor allem nicht, wenn deren Vergangenheit skandalumwittert war.
Gleich würde eimerweise Aufmerksamkeit auf ihn herabregnen, und wenn das geschah, wollte Anne nicht in der Nähe sein.
„Ich muss jetzt wirklich gehen“, sagte sie entschieden. „Wohin denn?“
„Nach Hause.“ Und weil sie das Gefühl hatte, noch etwas sagen zu müssen, fuhr sie fort: „Ich bin ganz schön müde. Es war ein sehr langer Tag.“
„Ich begleite Sie“, sagte er.
„Das ist nicht nötig.“
Er musterte sie kurz, stemmte sich gegen die Wand und erhob sich, das Gesicht leicht schmerzverzerrt. „Wie wollen Sie denn nach Hause kommen?“
War das ein Verhör? „Zu Fuß.“
„Nach Pleinsworth House?“
„Es ist nicht weit dorthin.“
„Für eine unbegleitete Dame ist es zu weit.“
„Ich bin Gouvernante .“
Das schien ihn zu belustigen. „Ist eine Gouvernante etwa keine Dame?“
Sie stieß einen gereizten Seufzer aus. „Ich bin völlig sicher“, erklärte sie. „Der ganze Weg ist gut beleuchtet. Wahrscheinlich werden sich auf der gesamten Strecke Kutschen drängen.“ „Und doch beruhigt mich das nicht im Mindesten.“
Er war wirklich hartnäckig. „Es war mir eine Ehre, Sie kennengelernt zu haben“, sagte sie resolut. „Und jetzt freut sich Ihre Familie sicher, Sie wiederzusehen.“
Er umfasste ihr Handgelenk. „Ich kann nicht erlauben, dass Sie allein nach Hause gehen.“
Anne atmete einmal tief durch. Er fühlte sich warm an, und ihr war dort ganz heiß, wo er sie berührte. Ein merkwürdiges, vage vertrautes Gefühl stieg in ihr auf, und entsetzt begriff sie, dass es Erregung war.
„Das verstehen Sie doch sicher“, meinte er, und sie hätte beinahe nachgegeben. Sie wollte es; das Mädchen, das sie früher einmal gewesen war, wollte es unbedingt, und es war schon so lange her, dass sie ihr Herz weit geöffnet und dieses Mädchen herausgelassen hatte.
„So, wie Sie aussehen, können Sie nicht unter die Leute gehen“, stellte sie fest. Es stimmte. Er sah aus, als wäre er aus dem Gefängnis ausgebrochen. Oder möglicherweise aus der Hölle.
Er zuckte mit den Achseln. „Umso weniger werde ich erkannt.“
„Mylord ...“
„Daniel“, korrigierte er sie.
Erstaunt starrte sie ihn aus großen Augen an. „Was?“
„Mein Vorname ist Daniel.“
„Ich weiß. Aber ich werde ihn nicht benutzen.“
„Ach, das ist schade. Aber es war einen Versuch wert. Kommen Sie ...“ Er bot ihr den Arm, doch sie ergriff ihn nicht. „Wollen wir?“
„Ich gehe nicht mit Ihnen.“
Er lächelte verwegen. Obwohl sein Mund auf einer Seite rot und geschwollen war, sah der Earl immer noch teuflisch gut aus. „Heißt das, Sie bleiben bei mir?“
„Sie haben einen Schlag auf den Schädel abbekommen“, sagte sie. „Das ist die einzige Erklärung.“
Er lachte, erwiderte aber nichts. „Haben Sie einen Mantel?“ „Ja, im Übungsraum. Ich ... Versuchen Sie nicht, das Thema zu wechseln!“
„Hmmm?“
„Ich gehe“, erklärte sie und hob eine Hand. „Sie bleiben hier.“
Doch er versperrte ihr den Weg. Er streckte einen Arm aus, legte die Hand an die Wand. „Ich habe mich vielleicht nicht ganz klar ausgedrückt“, sagte er, und sie erkannte, dass sie ihn unterschätzt hatte. Er mochte ein Luftikus sein, aber es steckte mehr in ihm, und im Moment war er todernst. Mit leiser, strenger Stimme sagte er: „Bei ein paar Dingen gibt es für mich keine Kompromisse. Die Sicherheit einer Dame gehört dazu.“
Und damit war die Sache erledigt. Er war fest entschlossen und war nicht bereit, seine Meinung zu ändern. Und so ließ sie sich von ihm zum Dienstboteneingang von Pleinsworth House begleiten, mit der
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