Ein Earl mit Mut und Leidenschaft
dir etwas geschehe.“
Wenn Daniel etwas in der Hand gehalten hätte, wäre es zu Boden gefallen. Es war verwunderlich genug, dass er nicht selbst zu Boden fiel.
„Mein Vater kennt mich gut genug, um zu wissen, dass ich so etwas nicht leichthin äußern würde.“ Hugh lächelte ein wenig. Daniel brachte keinen Ton heraus.
„Wenn du also ...“ Hugh nahm noch einen Schluck, diesmal einen großen. „Ich würde es zu schätzen wissen, wenn es dir gelingt, nicht bei irgendeinem unglücklichen Unfall zu Tode zu kommen. Ich würde meinen Vater dafür verantwortlich machen, und wenn ich ehrlich bin, wäre es mir lieber, mich nicht wegen eines Missverständnisses von dieser Welt verabschieden zu müssen.“ „Du bist ja verrückt“, flüsterte Daniel.
Hugh zuckte mit den Achseln. „Manchmal glaube ich das auch. Mein Vater würde dir sicher recht geben.“
„Warum solltest du das für mich tun?“ Daniel konnte sich nicht vorstellen - nicht einmal bei Marcus, der wirklich wie ein Bruder für ihn war -, dass irgendjemand sich derart selbstlos für ihn einsetzte.
Hugh schwieg lange, starrte blicklos vor sich hin, hin und wieder unterbrochen von einem Zwinkern. Als Daniel schon damit rechnete, keine Antwort zu erhalten, wandte Hugh sich ihm zu und erklärte: „Es war dumm von mir, dich einen Betrüger zu nennen. Ich war betrunken. Und ich glaube, du warst auch betrunken, und ich hätte nicht gedacht, dass du fähig wärst, gegen mich zu gewinnen.“
„War ich auch nicht“, sagte Daniel. „Ich hatte einfach nur Glück.“
„Ja“, meinte Hugh. „Aber ich glaube nicht ans Glück. Habe ich noch nie. Ich glaube an Können, noch mehr ans Urteilsvermögen, aber an dem Abend hatte ich keines mehr. Weder kartentechnisch noch im zwischenmenschlichen Bereich.“ Hugh sah in sein Glas, doch es war leer. Daniel wollte ihm schon anbieten, ihm nachzuschenken, entschied dann aber, dass Hugh ihn schon darum bitten würde, wenn er es wollte.
„Es war meine Schuld, dass du das Land verlassen musstest.“ Hugh stellte das Glas auf den Tisch. „Ich konnte einfach nicht länger damit leben, dass ich dein Leben zerstört hatte.“
„Aber ich habe deins doch auch zerstört“, entgegnete Daniel beklommen.
Hugh lächelte, aber es reichte nur bis zu einem Mundwinkel und nicht bis zu den Augen. „Es ist doch nur ein Bein.“
Doch Daniel nahm ihm seine Gelassenheit nicht ab. Hugh seufzte, weil er offenbar gemerkt hatte, wie wenig eindrucksvoll sein schauspielerisches Talent war.
„Ich kümmere mich um meinen Vater“, verkündete Hugh. Sein energischer Ton verriet, dass ihr Gespräch sich dem Ende zuneigte. „Ich gehe nicht davon aus, dass er dumm genug ist, hinter dem Überfall auf dich zu stecken, aber ich werde ihn vorsorglich an meine Drohung erinnern.“
„Du sagst mir doch, was bei eurem Treffen herausgekommen ist, oder?“
„Natürlich.“
Daniel trat zur Tür, und als er sich umdrehte, um sich zu verabschieden, war Hugh gerade dabei, sich auf die Füße zu kämpfen. Daniel öffnete schon den Mund, um ihn davon abzuhalten, doch er schluckte die Bemerkung hinunter. Man musste einem Mann seinen Stolz lassen.
Hugh griff nach dem Stock und quälte sich schleppend durch das Zimmer, um Daniel zur Tür zu bringen. „Danke für deinen Besuch“, sagte Hugh. Er streckte eine Hand aus, und Daniel nahm sie.
„Ich bin stolz darauf, dich zum Freund zu haben“, sagte Daniel. Dann verließ er den Raum, doch zuvor bemerkte er noch, wie Hugh sich rasch abwandte. In seinen Augen hatte es tränenfeucht geschimmert.
Am folgenden Nachmittag, nachdem sie am Vormittag noch einmal im Hyde Park gewesen waren, um die Rotten Row dreimal neu zu vermessen, saß Anne am Schreibtisch im Salon der Pleinsworths, kitzelte sich mit der Feder am Kinn und überlegte, was sie alles auf ihre Liste setzen sollte. Es war ihr freier Nachmittag, und sie hatte sich schon die ganze Woche darauf gefreut, Dinge zu erledigen und Besorgungen zu machen. Nicht dass sie viel einzukaufen gehabt hätte, aber sie genoss es, in den Läden zu stöbern. Die Aussicht war herrlich, ein wenig freie Zeit zu haben, in der sie nur für sich verantwortlich war.
Ihre Vorbereitungen wurden allerdings von Lady Pleinsworths Ankunft unterbrochen, die in zartgrünem Musselin in den Salon gerauscht kam. „Wir reisen morgen ab!“, verkündete sie.
Anne sah verwirrt auf und erhob sich. „Wie bitte?“
„Wir können nicht in London bleiben“, erklärte Lady Pleinsworth.
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